Geschrieben am 10. Dezember 2011 von für Bücher, Crimemag

George P. Pelecanos: Big Blowdown

Der andere Stadtführer für Washington D.C.

George P. Pelecanos als einen großen amerikanischen Kriminalschriftsteller zu loben hieße Eulen nach Athen tragen, so sehen das zumindest seine Fans. Wenn Pelecanos hierzulande ein weitgehend Unbekannter ist, sagt das viel über den Literaturstandort Deutschland aus. Sein Roman „The Big Blowdown“ (1996) erschien erstmals 1999 bei DuMont Noir unter dem Titel „Das große Umlegen“. Diese Krimireihe scheiterte nach kurzer Zeit, das Nachsehen hatten die Autoren. Jetzt hat DuMont eine Neuauflage unter dem deutschen Titel „Big Blowdown“ gewagt. Claus Kerkhoff wünscht Autor und Verlag dieses Mal mehr Erfolg.

George P. Pelecanos begann Kriminalromane zu schreiben, weil ein Dozent wenige Jahre zuvor seine Liebe zur Kriminalliteratur geweckt hatte. Von da an las er mehrere Romane pro Woche, zehn Jahre lang, bevorzugt Privatdetektivromane. Weil Pelecanos aber keine Ahnung davon hatte, wie ein Privatdetektiv tatsächlich arbeitet, entschloss er sich, eine Stadt- und Sittengeschichte von Washington D.C. zu schreiben. Im Mittelpunkt sollten nicht Politik oder Militär stehen, sondern die kleinen Leute, das Milieu der Immigranten, die Entstehung und Entwicklung des organisierten Verbrechens. Da kannte sich Pelecanos aus, denn als Sohn griechischer Einwanderer hat er die hellen und dunklen Seiten von Washington kennengelernt.

„Big Blowdown“ ist der erste Roman des sogenannten Washington-Quartetts, in dem Pelecanos die Geschichte der Familie Karras erzählt. Die Karras sind griechische Immigranten, die versuchen, den großen Traum Amerika zu leben. Sie träumen von Aufstieg und Glück und sind bereit, hart dafür zu arbeiten. Ihnen wird nichts geschenkt, sie stehen in Konkurrenz zu den Auswanderern aus anderen europäischen Ländern. Gemeinsam ist allen die Flucht aus ihrer alten Heimat, aus politischen, sozialen und wirtschaftlichen Zwängen. Und alle können nicht richtig Amerikanisch. Zwangsläufig bilden sich italienische, griechische, polnische und deutsche Viertel, in denen die Auswanderer unter sich bleiben. Es entstehen Parallelwelten, in denen die verschiedenen Einwanderergruppen durch ihre Sprache, Sitten und Gebräuche von der amerikanischen Gesellschaft isoliert sind. Hier leben sie als Hilfsarbeiter und Kleinstunternehmer am Rande der Gesellschaft, mit geringen Chancen zum Auf- und Ausstieg. Dieser Mikrokosmos ist der ideale Nährboden für das organisierte Verbrechen. Zunächst werden Kleinkredite und andere Hilfsleistungen von Verbrecherbanden gewährt, um Vertrauen zu schaffen, dann folgen Schutzgelderpressung und anderes. Während die Einwanderer hart und entbehrungsreich arbeiten müssen, haben die Gangster ein schönes Leben. Viel Geld für wenig Arbeit, schicke Anzüge, schöne Autos. Vielen Jugendliche erscheint die Arbeit als Gangster als Abkürzung zum schnellen sozialen Aufstieg.

Pete Karras

Pete Karras, der Protagonist in „Big Blowdown“, ist gerade aus dem Krieg zurückgekehrt und träumt ebenfalls den Traum von einem schnellen Aufstieg. Sein bester Freund Joe Recevo überredet ihn, für eine Verbrecherbande zu arbeiten, die für Kredite vergibt und Schutzgelder erpresst. Zusammen mit Recevo soll Pete Karras Geld von Landsleuten eintreiben, die die Wucherzinsen nicht mehr zahlen können. Als Karras sich weigert, seine Landsleute zu verprügeln, wird er zum Krüppel geschlagen. Joe lässt ihn im Stich.

Jahre später treffen die Freunde erneut aufeinander. Pete Karras arbeitet inzwischen als Koch in einer griechischen Kneipe. Als Joe Recevo auftaucht, um Schutzgeld erpressen, droht ein blutiger Kampf, denn der Wirt und seine Freunde weigern sich, Schutzgeld zu zahlen. Wird Joe Recevo erneut Pete Karras im Stich lassen?

George Pelecano

Pre- and Postwar …

Im Washington-Quartett beschreibt George P. Pelecanos die „kriminelle Geschichte“ der Stadt Washington kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Zugleich entwirft er die Geschichte der Karras über Generationen hinweg. Er beschreibt den amerikanischen Traum aus der Sicht von Arbeitern, Gangstern, und Unterprivilegierten, zeigt die sozialen Verwerfungen, die Folgen der Ghettoisierung, die Konflikte zwischen den ethnischen Gruppen, die alltägliche Gewalt des organisierten Verbrechens und den endlosen Kampf ums Überleben.

In jedem dieser vier Romane tritt ein anderer Protagonist der Familie Karras auf. Pete Karras gehört der ersten Generation der griechischen Einwanderer an, die in den USA geboren ist. Sein Sohn Dimitri ist die Hauptfigur in den drei folgenden Romanen des Washington-Quartetts.

Pelecanos erzählt aus seiner Sicht die sozialen Veränderungen im Washington der 70er Jahre mit Bürgerrechtsbewegung, Blaxploitation und deren Schattenseiten. Es treten auch weitere Figuren aus anderen Washington-Romanen Pelecanos auf.

Dieses Jahrzehnte überspannende Sittenbild erzeugt epischer Breite und glaubwürdige Geschlossenheit.

Die vier Romane des Washington-Quartetts gehen formal und inhaltlich neue Wege. Pelecanos leugnet dabei nicht das Erbe der Hardboiled-Literatur, er sprengt aber deren Grenzen und findet so zu einer eigenen Stimme.

Claus Kerkhoff

George P. Pelecanos: Big Blowdown (The Big Blowdown, 1996) Roman. Deutsch von Bernd W. Holzrichter. Köln: DuMont 2011. 367 Seiten. 9,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.

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