Geschrieben am 6. Oktober 2008 von für Bücher, Litmag

Gerhard Falkner: Bruno

Nachsommer

– Gerhard Falkner hat mit „Bruno“ dem Bären gleichen Namens und seiner traurigen Geschichte ein würdiges Denkmal gesetzt – und dabei eine wundervolle Künstlernovelle geschaffen, meint Tina Manske.

Wir alle erinnern uns an den Sommer 2006, als ein verirrter Braunbär Mitteleuropa in Atem hielt. Viele Menschen empfanden das durch heimische Wälder und Wiesen stapfende Tier als ökologisches Geschenk, mindestens ein Bayer aber verlor jeglichen Halt und hielt unverständliche Vorlesungen über Normal- und Problembären, die uns noch heute zu amüsieren vermögen, und ein paar von Stoibers Landsleuten schossen schließlich scharf. Aus war’s mit einer Renaissance des Braunbären in freier Wildbahn.

Gerhard Falkner hat nun mit seiner Novelle Bruno diesem außergewöhnlichen Tier und seiner traurigen Geschichte ein würdiges Denkmal gesetzt – und dabei eine wundervolle Künstlernovelle geschaffen. Ein Schriftsteller kommt ins Wallis und bemerkt, dass zeitgleich auch der Bär Bruno dort ist. Er hält das nicht für einen Zufall, sondern für eine Chance, durch die Auseinandersetzung mit dem Bären zu seinem eigenen inneren Ich zu finden. Der Ich-Erzähler setzt hinfort alles daran, eine Begegnung mit dem Vierbeiner herbeizuführen, der herumstromert wie er selbst.

Der Lyriker Falkner setzt in seiner Prosa insbesondere auf Naturbeschreibungen, wie man sie von Adalbert Stifter oder aktuell auch von Brigitte Kronauer kennt – nicht umsonst liegt am Ende auch ein Hemingway aufgeschlagen auf dem Schreibtisch –, Beschreibungen von hoher Detaildichte und unbändiger Poesie. Man lese nur das Eingangskapitel und wie Falkner dort den Sonnenuntergang im Gebirge beschreibt: „Erst gegen zehn Uhr erlischt die Spitze des Gipfels mit einem kurzen Nachglimmen wie der Kopf eines ausgeblasenen Streichholzes“, heißt es auf dem Höhepunkt des Naturschauspiels. Und dass diese Natur immer auch korrespondierende Sensationen im Ich-Erzähler selbst zeitigt, kann man sich zwar bereits denken, es ist aber trotzdem bewundernswert zu sehen, wie stringent Falkner seine Geschichte erzählt und wie poetisch seine Sprache bleibt, auch wenn er sie nicht in Verse fasst.

Unbedingt hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang eine Szene im Restaurant, auf einer Terrasse vor einem mit VW Touaregs und Ford Explorers gefüllten Parkplatz, und geräumig wie die Fahrzeuge sind auch die Wunschvorstellungen der Gäste: „Die Einstellung, egal was kommt, Hauptsache, es ist groß und viel, schimmerte, durchaus nicht auf die Bestellung beschränkt, sondern als Lebenserwartung, durch die beherzte Art und das ungenierte Auftreten.“ (Man sieht, Humor hat Falkner im Übermaß.) Ein gut situiertes Pärchen nimmt an einem Nebentisch Platz und wird von Grund auf seziert, vom Louis-Vuitton-Täschchen über die weiten Dreiviertelhosen bis hin zum mächtigen Gesäß, und man sieht sie augenblicklich vor sich, die neureiche Brunst – nie aber wird Gerhard Falkner sie einfach nur dem Leser zum Fraß vorwerfen, nein, er umspinnt sie mit Worten, die das Monstrum Mensch der Natur gleichmachen, ebenso phänotypisch, ebenso überschaubar. Die, die man normalerweise im schlechtesten Sinne des Wortes „nicht mehr sehen kann“, hier werden sie sichtbar bis zur Unterwäsche.

Die Liebe zu einer Frau spielt auch noch eine Rolle in diesem bemerkenswerten Büchlein ebenso wie die Fußball-WM in Deutschland. All das aber ergibt sich nur aus der Leerstelle einer Begegnung, die so nicht stattfinden wird – die mit dem Bären. Stattfindet dagegen die Begegnung mit dem Ich, und auch wenn das beschauliche Glas Rotwein am Ende über dem Kopf landet, so ist doch „endlich Ruhe“. Ein Ende in Beschaulichkeit, ja klar – aber Beschaulichkeit wie im Schaukelstuhl zum Schafott.

Tina Manske

Gerhard Falkner: Bruno. Eine Novelle. Berlin Verlag 2008. 112 Seiten. Gebunden. 18,00 Euro.

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