Geschrieben am 19. Mai 2012 von für Bücher, Crimemag

Gerlachs Unmögliche Lektüren (9)

Verrisse sind oft nicht ganz fair. Manchmal sogar richtig unfair. So wie bei uns: Gunter Gerlach stößt sich an Büchern, die anderen gut gefallen – dabei hat er sie noch nicht einmal zu Ende gelesen …

Zur Bestätigung der Vorurteile

„Lächeln!“, befiehlt Maja. „Lächeln!“

Aus den Tiefen meiner Eingeweide löst sich ein Schmerz, steigt auf und verlässt als dumpfes Grollen meine Lungen.

„Weißt du, wie du aussiehst?“, fragt Maja. „Wie ein Chinese, der sein Todesurteil empfangen hat und gleich zu weinen anfängt.“

„Es ist ja auch zum Heulen.“ Ich klappe das Buch auf Seite 32 zu. Georg M. Oswald, „Unter Feinden“. „Alle Klischees auf einmal. Böse Bullen, einer süchtig, Dealer mit arabischem Aussehen. Sie überfahren einen, der sich ihnen mit dem Baseballschläger in den Weg stellt. Dann sitzt der eine am Frühstückstisch und will verhindern, dass sein Sohn mit einem Fuckuall-T-Shirt in die katholische Schule geht.“ Ein weiterer dumpfer Laut löst sich aus meinen Lungen. „Und nun versucht einer der Bullen auch noch, den Unfallschaden am Dienstwagen in einer kleinen Klitsche beseitigen zu lassen, um die Tat zu vertuschen. Permanent sehe ich beim Lesen alte amerikanische Schwarzweißfilme und heutige Fernsehserien mit diesen Szenen. Zwanzig, dreißig Mal hab das alles schon gesehen und gelesen.“ Ich lasse das Buch fallen, kicke es mit dem Fuß quer durch den Raum.

„Du bist ein griesgrämiger, missmutiger alter Mann“, sagt Maja, „Du hast immer alles schon mal gesehen oder gelesen. Das nervt!“ Sie steht auf, holt das Buch und glättet den Schutzumschlag. „So ist Unterhaltung! Klischees bestätigen den normalen Menschen, das seine Welt noch immer so ist, wie er sie sieht – so ähnlich hast du es selber mal gesagt. Das ist Therapie!“

„Das ist Null. Mist. Schund. Dreck und …“

„Ich mache uns mal einen Cappuccino“, sagt Maja, um meinen Wutausbruch zu unterbrechen.

„Erinnert du dich an Oswalds Roman ʼAlles was zähltʻ?“

„Ist lange her. Der war großartig.“

„Genau. Und nun das!“

Ich höre in der Küche das Mahlwerk der Kaffeemaschine und greife zum nächsten Buch. Doch Maja hat sich im Schutz des Maschinengeräusches zurückgeschlichen und steckt den Kopf zur Tür herein. „Und jenes Buch hast du doch nur gekauft, um deine Vorurteile zu bestätigen.“

„Ich gebe ihm doch gerade eine Chance.“

„Tust du nicht.“ Maja verschwindet wieder.

Ich schlage Nele Neuhaus „Unter Haien“ auf. Es stand bei der Taschenbuchbestellerliste gerade auf Platz 1. Ein großes Foto von ihr auf der zweiten Umschlagseite. Gut sieht sie aus. Dann ein Vorwort: Nele Neuhaus empfiehlt ihr eigenes Buch. Es war ihr erstes. Es stimmt mich gnädig. Nicht lange. Maja stellt mir mit einem Hofknicks den Kaffee hin. Es passt zu Nele Neuhaus‘ Szenerie der Superreichen. Menschen sind aalglatt, man lächelt selbstgefällig, hebt spöttisch die Augenbrauen und hinter geschmeidigen Gebaren verbirgt sich ein eisenharter Kern. Oh je! „Unter Haien“ ist auf seine Art genauso schlimm wie „Unter Feinden“. Auf Seite 42 gebe ich auf.

„Auch dieses Buch ist eine therapeutische Maßnahme“, sagt Maja und gesteht, es auch schon angelesen zu haben. „Es sagt den Armen, dass die Reichen es auch nicht besser haben.“

„Dafür gibt es die Bunte und ähnliche Magazine.“

„Ach? Ich lese so was manchmal gern.“

„Das Besondere hat auch immer eine besondere Sprache, das Ungewöhnliche muss ungewöhnlich formuliert sein, das Neue braucht den neuen Ausdruck – demnach kann hier keine originelle Handlung mehr kommen.“

„Du bist wieder mal unbarmherzig. Das ist ein Krimi! Bloße Unterhaltung! So sind Krimis, niemand verlangt mehr.“

„Doch. Ich!“

Ich ziehe mich in die Schmollecke meines Sessels zurück.

„Noch einen Kaffee?“, singt Maja.

Gunter Gerlach

Georg M. Oswald: Unter Feinden. Roman. Gebunden. Piper Verlag 2912. 256 Seiten. 18,99 Euro.
Nele Neuhaus: Unter Haien. Roman. Ullstein Taschenbuchverlag 2012. 672 Seiten. 9,99 Euro.

 

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