Geschrieben am 28. September 2011 von für Bücher, Litmag

Gerlachs Unmögliche Lektüren (6)

Verrisse sind oft nicht ganz fair. Manchmal sogar richtig unfair. So wie bei uns: Gunter Gerlach stößt sich an Büchern, die anderen gut gefallen – dabei hat er sie noch nicht einmal zu Ende gelesen … Diesmal sind es gleich drei Bücher, die Gerlach wieder zur Seite legt.

Ein Stück Spaghetti im Gesicht

„Das darfst du aber nicht in deiner Kolumne zerreißen“, fleht die Buchhändlerin. „Bitte, bitte. Ich hab das so gern gelesen.“

„Nein, es ist ein Geschenk für Maja.“ Aber ich lasse Barbara Honigmanns „Bilder von A.“ nicht als Geschenk einpacken, um keine große Sache daraus zu machen. Im Bus lese ich ein paar Seiten. Im Grunde gut.

„Was ist denn das?“ fragt Maja misstrauisch. „Und du kennst es gar nicht und willst es mir schenken?“

„Die Buchhändlerin war davon begeistert. Soll was für dich sein. Ich habe nur den Anfang gelesen. Schade, unten auf der ersten Seite steht das Wort „Reißaus“. Ein Relikt der Historie. Das Wort ist auch noch im Seitenüberlauf getrennt. Das Schlimmste, was ein Setzer machen kann. Aber den Beruf gibt’s ja nicht mehr.“

„Reißaus? Was ist denn mit dem Wort: alter Knurrhahn.“

„Knurrhahn ist auch so eins aus dem Museum der Sprache, genau wie Reißaus.“

„Das erinnert mich an die Lesung mit Georg Klein.“ Maja grinst. „Na, das ist doch dein Stichwort.“

Ich nicke. „Für Georg Klein habe ich so geschwärmt, damals als ich „Libidissi“ gelesen hatte. Und vor einiger Zeit die Lesung mit seinem Kurzgeschichtenband. Nicht nur, dass es darin von solchen musealen Wörtern wimmelte – zum Beispiel „alsbald“ – nein, er las auch noch im Tonfall eines belehrenden Großvaters vor, der seine Enkel durchs Museum führt.“

„Moment, Herr Professor.“ Maja geht zu ihrem Lesesessel beugt sich herab und zieht ein Buch aus dem Stapel. „Hier das Gegenteil von Museum. Das total zeitgemäße Buch, perfekt für E-Books oder dafür, um es am Bildschirm zu lesen.“

Sie gibt mir die Taschenbuchausgabe von Daniel Glattauers „Alle Sieben Wellen“.

„Das ist dieser E-Mail-Roman.“ Ich ziehe die Lefzen hoch.

„Schon der zweite Band. Das sind Bestseller. Alle meine Freundinnen schwärmen dafür. Und das erste Buch fand ich auch ganz gut.“

„Das darf nicht wahr sein. Es fehlt alles, was das Vergnügen am Lesen ausmacht. Die Personen sind nicht sichtbar und ihre Umgebung auch nicht. Sie schweben im luftleeren Raum. Dieses Buch ist die totale Kunstlosigkeit, wie sie auch eine E-Mail mit sich bringt, der Autor hält sich raus, bemüht sich nicht Bilder zu erzeugen, überlässt alles dem Leser. Nein, danke.“

„Aber es ist so gefühlvoll, als Frau verliebt man sich in so einen E-Mail-Schreiber. Manchmal habe ich gedacht, das hat eine Frau geschrieben …“

„Genau, auch der Autor verschwindet, und der Rest sind nur Projektionen des Lesers. Das absolute Nichts als Buch.“ Das letzte war ein Zitat aus einer Kritik zu einem meiner eigenen Bücher, aber Maja erinnert sich wohl nicht daran.

„Ist eben nur was für Frauen.“ Sie versucht es mir aus der Hand zu reißen. Ich lasse nicht los und knurre. Maja gibt auf, wirft mir ein Schimpfwort an den Schwachkopf. Ich blättere noch ein bisschen im Glattauer, entdecke Mails von einer Länge, wie sie in der Wirklichkeit nicht vorkommen. „Hör mal …“

Maja hält sich die Ohren zu. Dann finde ich sogar eine Mail des männlichen E-Mail-Partners, in der er das Manko des ganzen Buches beschreibt: ohne Gestik und Mimik seines Dialogpartners weiß man nie, wie er etwas wirklich meint. Hallo, blinde Bestsellerkäufer da draußen: Lesen könnt ihr noch – aber nichts mehr sehen!

Schließlich versuche ich, zum wiederholten Mal, in Helmut Kraussers „Die letzten schönen Tage“ voranzukommen. Ich hatte es wegen des Klappentextes gekauft. Und, weil ich mich an gute Bücher dieses Autors erinnerte. Aber die im Klappentext versprochenen Personen kamen nicht vor. Endlich auf Seite 35 erschien der erste der beiden Protagonisten. Leider bekommt dann wohl fast jeder Beteiligte seine Perspektive. Und ich weiß nie, bei wem ich gerade bin. Es gibt Kapitel, wo das erst sehr spät klar wird. Ich beschließe, keine Geduld mehr zu haben, lege das Buch ganz leise auf den Stapel, um mich nicht vor Maja rechtfertigen zu müssen. Vielleicht ist es ja bloß meine mangelnde Konzentrationsfähigkeit.

Aber Maja hat es bemerkt und schickt einen Blick, begleitet von einem Loriot-Zitat: „Ach was.“

Und ich habe das Gefühl, ein Stück Spaghetti klebt in meinem Gesicht.

Ich schleiche mich zum Computer und muss auch noch feststellen, dass in unserem geliebten CULTURMAG schon im Februar eine vernichtende Besprechung von „Die letzten schönen Tage“ stand.

„Hattest du das nicht gelesen?“, singt Maja hinter mir nach der Schadenfroh-Melodie.

Mir klebt wirklich ein Stück Spaghetti im Gesicht.

Gunter Gerlach

Barbara Honigmann: Bilder von A. Hanser Verlag 2011. 136 Seiten. 16,90 Euro.
Daniel Glattauer: Alle Sieben Wellen. Goldmann Verlag. 220 Seiten. 8,99 Euro.
Helmut Krausser: Die letzten schönen Tage. Hanser Verlag 2011. 223 Seiten. 19,99 Euro.

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