Ein eigenwilliges Testament aus Kap Verde
– Napumoceno da Silva Araújo aus der Stadt Mindelo auf der kapverdischen Insel São Vicente hinterlässt ein höchst eigenwilliges Testament, das Licht auf die verborgenen Seiten seines scheinheiligen Lebens als mustergültiger Kaufmann und Wohltäter der Armen wirft. Nicht genug damit, dass er seinen Neffen enterbt, der Zeit seines Lebens in seiner Firma gearbeitet und bis zuletzt die Geschäfte verantwortungsvoll geführt hat, er verkündet darüber hinaus, erfüllt von väterlichem Stolz, eine uneheliche Tochter zu haben, die er als Alleinerbin einsetzt. So beginnt Germano Almeida (*1945, Boavista) seinen Roman „Das Testament des Herrn Napumoceno“, der erstmals 1997 auf Deutsch beim Fischer Taschenbuch Verlag erschien und jetzt beim Unionsverlag neu aufgelegt wurde.
Die bereits erwachsene Maria da Graça erfährt erst bei der Testamentseröffnung, wessen Kind sie ist, und wird fortan vom Wunsch getrieben, möglichst viel über Napumoceno in Erfahrung zu bringen und ihrer eigenen Identität auf den Grund zu gehen. So kommt ihr das auf 387 Blättern geschriebene Testament gerade recht, denn es gleicht mehr einer mit schriftstellerischem Geschick verfassten Autobiographie als einem juristischen Dokument.
Die Kapverdischen Inseln waren vor ihrer Entdeckung im 15. Jahrhundert unbesiedelt; im 16. Jahrhundert dienten sie den Portugiesen als Umschlagplatz für den Sklavenhandel. Dementsprechend ist die heutige Bevölkerung ein Mischvolk, das sich einerseits zu Europa und andererseits zu Afrika hingezogen fühlt. Die kreolische Kultur der Kapverden scheint auf den Seiten dieses Romans zum Greifen nah: Die putzige Mischung aus sprachlicher Förmlichkeit und beflissener Freundlichkeit, die man auch häufig in Portugal antrifft, verbindet sich mit der kapverdischen „morabeza“, der Gastfreundschaft der einfachen Leute. Zu all dem gesellt sich der verspielte, schrullige Eigensinn Napumocenos, der einen beim Lesen immer wieder zum Schmunzeln bringt.
Als Kap Verde 1975 seine Unabhängigkeit erklärte, war das fiktive Testament bereits geschrieben, obgleich Napumoceno erst zehn Jahre später stirbt. 1974, im Jahr der portugiesischen Nelkenrevolution, enden seine Aufzeichnungen. Mit ihm stirbt ein Menschentyp, der Platz für die neue, unabhängige Nation macht, Platz für die uneheliche Tochter Graça, der der Kaufmann seinen Nachnamen vererbt und sie damit gesellschaftlich rehabilitiert. Gleichsam enterbt diese Generation ihre legitimen Nachkommen (den Neffen Carlos). Die politischen Zwistigkeiten der vorangehenden Jahrzehnte werden immer wieder angetippt, bleiben aber für historische nicht vorgebildete Leser ziemlich vage, da sich Napumoceno im fortschreitenden Alter zwar für politische Ämter interessiert, sich aber aufgrund der vorherrschenden Uneinigkeit und Wankelmütigkeit der Lokalpolitiker wieder zurückzieht. Germano Almeida erklärt wenig, denn offensichtlich schreibt er für seine Landsleute und hat kein europäisches Publikum im Visier.
Das Kernthema des geduldig erzählten Romans voller assoziativer Sprünge bilden Napumocenos geheim gehaltene Liebschaften, die Germano Almeida feinfühlig ausgestaltet. Besonders einschneidend für den Protagonisten ist seine leidenschaftliche Liebe im Alter von fast 60 Jahren zur jungen, schmalwüchsigen Adélia. Eine amour fou, die ihn nicht nur in die höchsten Gefilde der Verzücktheit erhebt, sondern gleichzeitig Versagensängste und schließlich unheilbaren Schmerz auslöst.
Vom grünen Rock der Putzfrau
So leichtfüßig und unterhaltsam der Roman auch sein mag, er ist doch aus einer traditionellen patriarchalischen Sicht geschrieben, die nicht nur die des Protagonisten, sondern auch die des auktorialen Erzählers ist. Das mag man schlimm finden oder einfach als historische Phase abhaken (der Roman erschien auf Kap Verde schon 1989). In mir erzeugt es jedenfalls eine Art Müdigkeit: Seine Tochter Graça hat Napumoceno mit seiner Putzfrau Maria Chica gezeugt. Die erste sexuelle Begegnung der beiden hat etwas von – nennen wir es „Unfreiwilligkeit“ – auf Seiten Maria Chicas. Weil der angesehene Kaufmann ein Kind seiner Putzfrau öffentlich nicht anerkennen kann, rät er ihr zur Abtreibung. Maria Chica entscheidet sich dagegen, zieht weg und verspricht ihm, niemals seinen Namen zu enthüllen. Der „verantwortungsvolle“ Napumoceno zahlt Maria Chica zwar fortan eine Rente und vererbt Graça später seine Firma, fühlt sich aber ansonsten frei jeder Verantwortung:
„Vor allem fühlte er, dass er keine Schuldgefühle in Bezug auf ihre Geburt haben musste, erstens, weil er wusste, dass er die Mutter zwar begehrt hatte, aber kein Kind von ihr haben wollte; zweitens, weil die Entscheidung für ihre Geburt allein der Mutter vorbehalten war und er mit dieser Entscheidung nichts zu tun hatte“ (S. 136).
Man mag die Einstellung der Romanfigur als Symptom der patriarchalen Kolonialgesellschaft lesen und ihr Verhalten als völlig realistisch im Sinne der Gesetze der Wahrscheinlichkeit empfinden. Es wird ja auch durch eine poetische Pointe bereichert, die die widersprüchliche Identität der Kapverdianer inszeniert: Der grüne Rock Chicas verwandelt sich in einen sexuellen Fetisch, da er Napumoceno an die Farbe des von ihm heiß verehrten portugiesischen Fußballvereins Sporting Clube erinnert. Die Kapverdianer, die Menschen des „Grünen Kaps“, (das eigentlich eine ziemlich trockene Inselgruppe ist), werden somit humorvoll nach dem Prinzip des pars pro toto als Volk unehelicher Kinder von portugiesischen oder Portugal zugeneigten Männern und afrikanischen bzw. kapverdianischen Frauen gezeichnet.
Trotzdem: Ich wünsche mir gerade in Gender-Fragen einen stärkeren Bruch zwischen dem kritikablen Verhalten der Figuren und der Position des Erzählers.
Doris Wieser
Germano Almeida: Das Testament des Herrn Napumoceno (O testamento do Sr. Napumoceno da Silva Araújo, 1991). Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Unionsverlag 2014. 190 S. 10,95 Euro. Foto: Wikimedia Commons, Quelle. Autor: Leandro Müller.