Der Misanthrop als hoffnungsloser Romantiker
Die meiste Zeit wirkt Almatastr. wie ein Tourette-Monolog auf LSD und zu vielen Downern. Tina Manske war mal genervt, mal amüsiert.
Durch einen Zufall hat Rehlein, ein Typ um die Dreißig, ein ganzes 18. Stockwerk im Bremer Stadtteil Walle ganz für sich allein. Das trifft sich gut, denn Rehlein ist eine Mischung aus Soziophob und Soziopath, auf jeden Fall ein höchst misanthropischer Mensch. Almatastr. ist die gnadenlose Bestandsaufnahme dieses Sonderlings, ein Tagebuch des Scheiterns an der Welt. Die einzige wirkliche Brücke zu dieser Welt ist Rehleins Freund Clemens (der ihm auch diesen seltsamen Tiernamen verliehen hat), der ihm ab und an Nachrichten und Dreck in die Wohnung trägt, auch Geschichten von Frauen erzählt und Rehlein sogar dazu anstiftet, selbst amouröse Versuche zu unternehmen. Aber auch die Liebe birgt für den Protagonisten keine Erlösung. Selbst wenn Rehlein natürlich bei aller Misanthropie ein hoffnungsloser Romantiker ist und gerade angesichts der Liebe dies auch in Worten auszudrücken weiß: „Und wenn Gott käm und fragte, was er tun müsse, daß ich ihn liebe, ich sagte: sei sie.“ Kaum lernt er jedoch so was wie einen interessierten Mitmenschen kennen (Berger), stirbt ihm dieser auch sofort weg. Oder läuft ihm weg – so seine Freundin.
„Wäre das Leben ein Film, ich nähm es auf. Ansehn würd ich mirs vielleicht später.“
Den Großteil des Buches über wirkt Almatastr. wie ein Tourette-Monolog auf LSD und zu vielen Downern. Rehlein hat eine feine Beobachtungsgabe und betrachtet seine Umgebung mitleidslos: „Ein in fleckige Tarntracht getanes Weib steht, die Hände in den Manteltaschen, den Blick stier in eine schlechte Unendlichkeit. ‚Warten auf ein kotendes Tier‘ heißt das, nicht etwa ‚Besinnlichkeit‘.“ Aber selbst die geschliffenste Formulierung kann ihm den Zweifel nicht ausräumen, den Zweifel an der Angemessenheit jeglichen Sprechens: „Wie kann man es wagen, den Mund zu öffnen, es sei denn, Rauch zu saugen oder Flüssigkeit? Oder an einer Brust.“
Anders als bei – um einen anderen berühmten Sprachskeptiker der Literaturgeschichte zu nennen – Hofmannsthals Lord Chandos ist Rehlein allerdings weit davon entfernt, das Schreiben aufzugeben, ganz zur Freude des Lesers. Apropos Literaturgeschichte: die würde Rehlein gern umschreiben, dieser Fan von Jakob Michael Reinhold Lenz, der Goethe einen „bösen minderbegabten Greis“ und „weimarer Salieri“ nennt – auch nicht unsympathisch diese Sicht der Dinge.
Was eine Stärke von Grimsens Schreiben ist – die Aneinanderreihung prätentiöser Sätze – wird an manchen Stellen auch zu seinem Problem. So manches Mal stöhnt man entnervt auf und möchte das Buch in die Ecke pfeffern, tut’s dann aber doch nicht, weil die gelungenen Passagen viel zu viel Spaß machen. Nicht nur für Fans von Sven Regener (mit dem zusammen Grimsen vor einigen Jahren den Band Angulus Durus verfasste) zu empfehlen.
Tina Manske
Germar Grimsen: Almatastr. Berlin: Verbrecher Verlag, 2009. 304 Seiten. 24,00 Euro.