Geschrieben am 17. Dezember 2014 von für Bücher, Litmag

Geschenktipp: Film Noir – 100 All-Time Favorites

Paul_Duncan_Film NoirLiebe, Tod & (meist weibliche) Teufel

– Wolfram Schütte mit einem Geschenktipp für alle Cineasten: Paul Duncan und Jürgen Müllers fabelhaftes Kompendium des „Film Noir“ (siehe auch CM vom 09.08.14).

Mit seinen 3,5 kg & seinen 688 (gewissermaßen brokat-) schweren schwarzen Seiten ist diese Sammlung des „Film Noir“ eines jener „Coffee Table Books“, das einen zarten Beistelltisch in die Knie zwingen könnte. Lesen, besser noch: betrachtend in ihm sich umzusehen, kann man wohl am besten, wenn der ebenso kompakte wie beeindruckende Band auf einer soliden Grundlage liegt, auf einem Schreibtisch am besten.

Es waren französische Filmkritiker, die 1946 den Namen erfanden für eine Reihe von Hollywoodfilmen, deren Gemeinsamkeit ihnen auffiel, weil die Franzosen sie alle erst nach dem 2. Weltkrieg auf einen Schlag zu sehen bekamen. Es war kein eigenes Genre – wie der Western oder das Musical – das ihnen da vor Augen kam, sondern eine allen Filmen der „Schwarzen Serie“ gemeinsame oder ähnliche ästhetische & emotionale Anmutung.

Vor allem waren es B-Pictures, billig produzierte Begleitfilme für ein US-Kino-Programm, in dem die teuren Blockbuster der A-Produktionen der Hollywoodstudios im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Kritik & Publikum standen. Als „Beigabe“ erlaubten sich die Studios in ihren B-Filmen eine größere (moralische) Freiheit & mehr sozialen Realismus; das geringere Budget spornte die Regisseure zu gewagteren, raffinierteren, suggestiveren ästhetischen Anstrengungen in schwarz/weiß an.

Duncan_maltese

Der klassische Film der „Serie noir“ Hollywoods spielte meist am unteren Rand der Gesellschaft, in einem zwielichtig-ärmlichen Milieu, wo sich dubiose Anwälte, korrupte Cops & zynische Privatdetektive, brutale Gangster & erotisch attraktive Flittchen aller Art in dunklen Zimmern, auf nassen Straßen & in viertürigen Autos ihre verhängnisvollen Stelldicheins gaben, mit & gegeneinander in der Regel scheiternde (Mord-) Pläne schmiedete, jedoch meist alle ihren je eignen Tod fanden & auf der Strecke wie erlegtes Niederwild blieben, das ihnen von einem ebenso höhnischen wie undurchschaubar gemeinen Schicksal bereitet wurde. Schwarz wie die Nacht, in der sie oft spielten, war aber auch die Zukunft der Protagonisten & ihrer blendenden Weibs-Teufel wie z.B. Gloria Graham oder Veronika Lake.

Der amerikanische Filmhistoriker & Regisseur Paul Schrader hat in seinen „Notizen zum Film noir“, die dem Buch beigegeben sind, 3 Phasen für dessen Karriere ausgemacht: I. (1941/46), in dem der Privatdetektiv als „einsamer Wolf“ dominierte, Chandler & Hammett die Drehbücher schrieben, Bogart & Ladd, Bacall & Lake sie verkörperten, Hawks, Curtiz, Walsh u.a. sie inszenierten. II. (1945/49) die Phase des intensivsten Realismus für die Kehrseiten des american way of life , in der Hathaway, Lang, Dassin, Kazan & Siodmak u.a. als Regisseure hervortraten & zuletzt die III. Phase (1949-53), die gekennzeichnet wird durch Psychopathen (Cagney, Ryan, Lee Marvin).

Der Beginn von Hollywoods Schwarzen Serie kann man mit John Hustons „Maltese Falcon“ (1941) und das Ende mit Orson Welles´ „Touch of Evil“ (1958) ansetzen. Das Ziegelstein schwere „Film Noir“ aus dem Taschen-Verlag versammelt allerdings unter seinen „100 All-Time Favorites“ nicht nur die amerikanischen Klassiker dieser eineinhalb Jahrzehnte. Die Herausgeber zählen auch als Vorläufer die europäischen Klassiker „Das Cabinet des Dr.Caligari“ von Robert Wiene (1920), Hitchcocks „The Lodger“ (1927), Langs „M“ (1931), Carnés „Quai des Brumes“ 1938 & Hitchcocks ersten USA-Film „Rebecca“ (1940) dazu. Man kann das akzeptieren, um auf die Herkunft von atmosphärisch-ästhetischen Bild- & Stimmungsvaleurs der durch & durch amerikanischen Filme der „Schwarzen Serie“ hinzuweisen – wobei nicht alle infrage kommenden Hollywood-Filme unter die 100 Highlights aufgenommen wurden. Dafür aber z.B. Carol Reeds „Dritter Mann“, Clouzots „Die Teuflischen“ oder Hitchcocks Farbfilme „Fenster zum Hof“ & „Vertigo“.

Duncan_Dead

Problematischer als diese Ausgriffe in nicht-amerikanische Filmländer & in Farbfilme scheint mir die Enthistorisierung der Schwarzen Serie, um unter ihrem Namen noch eine Reihe von zweifellos großartigen Filmen zwischen 1959 & 2011 (nicht nur aus den USA) unterzubringen: wegen ihrer kriminellen Thematik, der Erotik ihrer Stars oder ihrer existentialistischen Dringlichkeit. Ausgewählt wurden wie etwa „Der eiskalte Engel“, „Point Blank“, „Taxi Driver“, „Blue Velvet“, „Pulp Fiction“ oder „Hana-bi“. So schlüssig es ist, „Chinatown“, „Leben und Sterben in L.A“, „Heat“, „L.A. Confidential“ oder „Bad Lieutenant“ hier zu finden, so irritierend sind aber z.B. „Blade Runner“ oder „Black Swan“ auf dieser Liste, wiewohl Douglas Keesay in seiner „Einführung in den Neo-Noir“ diese Auswahl zu begründen versucht. So brillant Melvilles chef d´oeuvre „Le Samurai“ mit Alain Delon ist, „le Deuxième Souffle“ oder „le Doulos“ (mit Lino Ventura resp. Jean-Pierre Belmondo) wären noir-affiner gewesen. Aber: macht nichts.

Wer einen Cinephilen zu Weihnachten glücklich machen will oder sich selbst einen lange dauernden Gefallen (an einem außerordentlichen Buch über bestimmt einige seiner Lieblingsfilme) tun will, die hier jeweils auf mehreren Seiten vorgestellt, bzw. imaginativ beschworen werden, der greife zu: Paul Duncan, Jürgen Müller (Hrsg.): Film Noir – 100 All-Time Favorites. Hardcover. 21,5 x27,4 cm. Taschen Verlag, Köln 2014. 688 Seiten, zahllose Abbildungen. 39,99 Euro.

Wolfram Schütte

Alle Abbildungen aus dem Buch, Quelle.

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