Geschrieben am 26. November 2007 von für Bücher, Litmag

Giacomo Cacciatore: Der Sohn

Das unsichtbare Böse

Cacciatores Prosa ist von höchster Sinnlichkeit und steckt voller Gerüche, Bilder und unverbrauchter Metaphern.

Es ist 1978, kurz vor der Fußball-WM im heruntergekommenen Palermo: Der zehnjährige Giovanni fährt mit seinem Vater durch die Viertel, besucht Geschäfte mit ihm und trifft seine Freunde in Cafés. Er träumt von dem gerade gesehenen Fernseher, der die Welt in Farben explodieren lässt. Kurze Zeit später steht ein solches Wunderding im Wohnzimmer der Familie – ohne Bezahlung. Der Vater, der Polizist, ist Mitglied der Familie und sein Wahlspruch lautet: „Wenn man das Böse nicht sieht, existiert es nicht.“

Der 1967 in Kalabrien geborene Giacomo Cacciatore erzählt in „Der Sohn“ eine Geschichte der Familie im doppelten und dreifachen Sinne. Denn der Vater Vincenzo tanzt auf mehreren Hochzeiten, und alsbald zeigt das im Verborgenen wuchernde Böse der Mafia seine hässliche Fratze: Menschen verschwinden, es gibt Tote auf offener Straße und Verhaftungen.

Dunkel und bedrohlich lauert im Zentrum des Romans eine geheimnisvolle Macht, ohne dass der junge Protagonist Giovanni das Ganze durchblicken kann. Stattdessen allerorten versteckte Zeichen, unscheinbare Gesten und Verbindungen, die nur schwer zu deuten und in einen Zusammenhang zu bringen sind. Doch immer mehr spürt der heranwachsende Junge, dass sein Vater Unrecht tut und in großer Gefahr schwebt. Er ergreift die Initiative, um ihn aus dem „Reich der lebenden Toten“ zu befreien – doch sein Plan endet in einer tragischen Überraschung.

Cacciatore schildert die Ereignisse konsequent und überzeugend aus kindlicher und später jugendlicher Perspektive. Seine Prosa ist dabei von höchster Sinnlichkeit und steckt voller Gerüche, Bilder sowie unverbrauchter Metaphern und kindlicher Assoziationen. „Der Sohn“ ist eine außergewöhnliche und atmosphärisch ungeheuer dichte Auseinandersetzung mit der Mafia und ihrem Gesetz des Schweigens sowie mit den Verstrickungen eines ganz gewöhnlichen Familienlebens.

Karsten Herrmann

Giacomo Cacciatore: Der Sohn. Aus dem Italienischen von Judith Schwab. Rowohlt 2007. 220 Seiten. 19,90 Euro.