Fran Ray (I)
Diese Zuschrift einer Leserin erreichte uns, die Redaktion von CrimeMag und unsere neue Mitarbeiterin Fran Ray, die ab jetzt regelmäßig unregelmäßig an dieser Stelle schreibt.
Obwohl wir sonst keine Leserbriefe abdrucken, möchten wir hier eine Ausnahme machen, da die Verfasserin so inständig darum gebeten hat.
Sehr geehrte Frau Klönne,
seit Jahren bin ich in neugieriger Erwartung Ihrer neuen Kriminalromane. Natürlich habe ich mich schon öfter gefragt warum, schließlich lese ich sehr viel, mein Mann schimpft mich schon eine Buch- und Geldvernichterin und unsere Ehe leidet auch, weil ich lieber mit einem Buch einschlafe. Nun, ich will Sie nicht mit meinem Privatleben belästigen und langweilen. Die Zeit einer Schriftstellerin ist schließlich kostbar.
Ganz besonders haben mir die Titelbilder Ihrer Kriminalromane gefallen. Diese wunderbaren Vögel in leerer Umgebung. Und wenn man mit dem Finger über ihr Gefieder fährt, erheben sie sich vom Papier. Die haben mich im Laden sofort zu Ihrem Buch greifen lassen.
Schade, diesmal ist kein Vogel auf dem Umschlag, sondern ein rennendes Mädchen, im roten Kleid, und der Raum ist weiß und kalt, eine leere Altbauwohnung; und sie rennt auf ein geschlossenes Fenster zu, als wäre der Teufel hinter ihr her.
Ich habe gleich an Kindsmissbrauch gedacht und an in verborgenen Räumen eingesperrte Kinder – und zögerte, das Buch zu kaufen.
Doch schließlich haben Sie es ja geschrieben.
Und außer den Titeln hat es mir Ihr Schreibstil angetan:
Die Präzision, die Ökonomie, das Ohne- Umschweife, wenn ich das mal so nennen darf. Dass Sie das über 320 Seiten lang schaffen, bewundere ich, ich habe schon Schwierigkeiten, einen dreiseitigen Brief zu verfassen. Ihre Helden – darf ich Sie so bezeichnen? – kommen ohne Autoaus- und einsteigen aus, ohne Nachdenken unter der Dusche und ohne all das Füllsel, von dem andere Krimis voll sind.
Aber nun zur Geschichte.
Ein brutaler Mord in Köln, einem Mann wird das Gesicht weggeschossen – und ein zwanzig Jahre zurückliegender, ungeklärter Mehrfachmord tritt wieder ans Tageslicht. Und mittendrin: die Kommissarin Judith Krieger, frisch entwöhnte Ex-Raucherin.
Es geht um Kinderheime in den 60er Jahren und ihre Verwurzelung in der NS-Zeit- und Tradition. Sehr viel Interessantes, Wissenswertes – und Erschreckendes habe ich durch Ihren Roman erfahren. Ich, selbst ein Kind der Vierziger, habe mich an so einige Erziehungsmethoden erinnert, die damals gang und gäbe waren, die alte Kinderärzte jungen, unerfahrenen Müttern – wie mir – mitgegeben haben.
Und es geht um Rache: Wie lebt man, wenn einem Leid und Unrecht widerfahren sind?
Ohne diese Frage gäbe es wohl keine Kriminalromane – und nicht nur die.
Jogging in der Vergangenheit …
Doch hier, verehrte Frau Klönne, verzeihen Sie bitte vielmals, muss ich doch ein wenig Kritik üben. Die getippten Briefe des Täters sollen Verständnis wecken, ich verstehe schon, aber das habe ich schon zu oft in anderen Krimis gelesen, und abgesehen davon, kann ich auch kein Mitgefühl für den Täter entwickeln. Ehrlich gesagt, Frau Klönne, Ihr Täter bleibt mir fremd. Und seine Verbindung zu Judith Krieger, der unerschrockenen Kommissarin, war für mich nicht recht nachvollziehbar – aber bitte sehen Sie es mir nach, vielleicht ist mir etwas entgangen.
Und immer wieder erschien vor meinem inneren Auge Lena Odenthal, wie Sie im Sonntagstatort durch Straßen und ihre Vergangenheit joggt.
Entschuldigen Sie, dass ich hier Kritik wage, und wenn Sie sagen: Soll diese alte Kuh doch einfach ein anderes Buch kaufen und mich in Ruhe lassen, verstehe ich das natürlich. Aber so einfach ist es für mich nicht. Weil ich an Sie glaube. Und ich wünsche mir von Ihnen zwischen der präzisen Sprache und all dem Hasten und der Ökonomie ein bisschen mehr Luft zum Atmen. Mehr Leerstellen, die ich füllen kann mit meinen Gedanken, die sich bei der Lektüre einstellen. Ein bisschen mehr Atmosphäre zum Verweilen.
Ein bisschen weniger lange, perfekte Sätze.
Bitte verstehen Sie es nicht als Anmaßung, ich schreibe ja nicht – wie Sie. Seien Sie gewiss, ich werde mir Ihr nächstes Buch sicher wieder mehrmals bei meinem Buchhändler für meinen Lesekreis bestellen, damit für einen anregenden Diskussionsabend gesorgt ist.
Ich verbleibe mit freundlichen Grüßen
Ingeborg B.
Gisa Klönne: Nichts als Erlösung. Judith Kriegers fünfter Fall. Roman. Berlin: Ullstein 2011. 352 Seiten. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch.
Fran Ray
Zu Fran Ray:
www.fran-ray.com und Link zu Facebook