Quicklebendig
– Könnte man es bei diesem Buch nicht mit einem Verweis auf einen bekannten Bibel-Spruch belassen? „Lass die Toten ihre Toten begraben“ (Mt 8,22). Warum soll man sich heute denn noch die Zeit nehmen, sich mit der Lebensgeschichte eines kommunistischen Intellektuellen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen? Das ist doch etwas für heute „politisch Tote“ die sich in der Erinnerung an längst verstorbene Kämpfer für die Weltrevolution an den vergangenen besseren Zeiten ihr Herz erwärmen wollen.
Antonio Gramsci aber, der 1891 auf Sardinien geborene und 1937 nach einer langen Haftzeit im faschistischen Italien gestorbene Politiker, Journalist und Philosoph, ist nicht so einfach „zu entsorgen“. Deshalb begrüßt man auch dankbar, dass die lange Zeit vergriffene deutsche Ausgabe der Gramsci-Biographie von Giuseppe Fiori jetzt wieder in einer erweiterten Neu-Edition auf dem Markt ist. Die Lektüre der Passagen über die inneren Fraktionskämpfe der damals im Entstehen begriffenen kommunistischen Partei Italiens kann man sich tatsächlich schenken. Das interessiert heute wirklich nur noch Zeithistoriker – wenn überhaupt.
Um aber den Kontext der intellektuell nach wie vor ungemein spannenden „Gefängnishefte“ von Gramsci zu verstehen – die deutsche Edition des Argument-Verlags kann nicht hoch genug gelobt werden – ist die Fiori-Biographie sehr hilfreich.
Und dann ist da noch der Mensch Antonio Gramsci, der es schafft, sich trotz einer schweren körperlichen Behinderung aus vor-modernen sardischen Verhältnissen zu emanzipieren und im kapitalistischen Turin ein von vielen geachteter Theoretiker zu werden.
Will man eine Ahnung davon bekommen, wie einmal vor vielen, vielen Jahren und in der Zeit vor Smartphone und SMS Briefe geschrieben wurden, sollte diese Gramsci-Biographie lesen. Die Briefe an seine Frau Julia Schucht und deren Schwester Tanja gehören mit zu den schönsten und ergreifendsten Dokumenten der Briefkultur im XX. Jahrhundert. Lasst die Toten ruhig ihre Toten begraben – Gramsci gehört nicht dazu.
Carl Wilhelm Macke
Giuseppe Fiori: Das Leben des Antonio Gramsci. Eine Biographie. Aus dem Italienischen von Renate Heimbucher und Susanne Schoop. Rotbuch Verlag, Berlin 2013. 416 Seiten. 24,99 Euro.