Geschrieben am 29. März 2006 von für Bücher

Harry G. Frankfurt: Bullshit

Zur Kultur des „Bullshittings“

„Bullshit“ ist ein schmales, kleinformatiges und in edles rotes Leinen gefasstes Buch, das erstmals schon vor zwanzig Jahren erschienen ist. Und doch ist es auch heute noch von erstaunlicher Sprengkraft und Virulenz. Gleich mit dem ersten Satz trifft Harry G. Frankfurt den Nerv unserer durch Medien, Werbung und Public Relation geprägten Zeit: „Zu den auffälligsten Merkmalen unserer Kultur gehört die Tatsache, dass es viel Bullshit gibt. Jeder kennt Bullshit. Und jeder trägt sein Scherflein dazu bei.“

Der 1929 geborene, heute als Philosoph in Princeton lehrende Frankfurt nähert sich dem Phänomen des Bullshits und des „Bullshitting“ mit einem analytischen Sprachvergleich und zieht neben dem Oxford English Dictionary auch Gewährsleute wie Ludwig Wittgenstein, Ezra Pound oder Eric Ambler zu Rate. So stellt er fest, dass der Bullshit in naher Verwandtschaft zum Bluffen, zur Prahlerei und zum Produzieren von heißer Luft steht: „Bullshit ist immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen.“

Frankfurt sieht das Bullshitting so auch als eine Konsequenz aus der in der Demokratie weit verbreiteten Überzeugung, zu allen erdenklichen Themen Meinungen entwickeln zu müssen – und das obwohl die Realität in ihrer Komplexität schon längst nicht mehr vom Einzelnen erfassbar ist. Spannend wird es an der Stelle, wo Frankfurt das Bullshitting von der Lüge abgrenzt: Steht letztere noch in einem direkten Verhältnis zur Wahrheit, von der sie sich bewusst absetzt, steht der „Bullshitter weder auf der Seite des Wahren noch auf der des Falschen.“ Ihm ist es letztlich gleichgültig, wie die Dinge wirklich sind und so eröffnet sich ihm ein Spielfeld für Improvisation, Farbe und Phantasie. In diesem Sinne kann das Bullshitting auch als ein Phänomen der Postmoderne gekennzeichnet werden, in der ein grundlegender Skeptizismus gegenüber der Realität herrscht und die Wahrheit einem undurchdringlichem Spiegellabyrinth gleicht.

Am Ende des Traktats, der seinen besonderen Reiz durch die Kontrastierung seines trocken-analytischen Duktus mit fulminanter Polterei entfaltet, steht eine überraschende Schlussfolgerung. Statt wie erwartet das Bullshitten zu verdammen und das „Ideal der Richtigkeit“ zu verteidigen, zerreißt Frankfurt ein offenbar an dessen Stelle getretenes „Ideal der Aufrichtigkeit“ sich selbst gegenüber in der Luft: „Unsere Natur ist notorisch instabiler und weniger eingewurzelt als die Natur anderer Dinge. Und angesichts dieser Tatsache ist Aufrichtigkeit selbst Bullshit.“

Karsten Herrmann

Harry G. Frankfurt: Bullshit. Suhrkamp, 74 Seiten, 8 Euro.