Geschrieben am 7. Mai 2007 von für Bücher

Harry G. Frankfurt: Über die Wahrheit

Nichts als die Wahrheit

Nachdem Harry G. Frankfurt in „Bullshit“ mit viel Verve und Polemik unser Zeitalter als eines der heißen Luft und der Schwindler und Blender gebrandmarkt hatte, bläst er nun zum Gegenangriff und zeigt, „weshalb denn die Wahrheit für uns eigentlich so wichtig ist.“ Von Karsten Herrmann

Der emeritierte Princeton-Philosoph zielt dabei nicht auf die Wahrheit im Sinne einer hohen – und manchmal auch hohlen – Entität und Letztgültigkeit, sondern im Sinne eines ganz pragmatischen Wertes. Gegen die aus seiner Sicht „schamlosen Widersacher der Alltagsvernunft“ wie die Postmodernisten, setzt er auf „Fakten“, „Tatsachenbehauptungen“ und „Schlussfolgerungen“. Als schlagendes Beispiel führt er die alltägliche und (wenn auch beim genaueren Hinsehen nicht immer) erfolgreiche Arbeit von Architekten und Medizinern an.

So stellt sich die Wahrheit bei Frankfurt zunächst einmal als rein instrumenteller Wert und nützliche Arbeitshypothese dar, die so lange gilt, bis sie sich in der praktischen Anwendung als falsch erweisen sollte. Gesellschaften und Individuen „brauchen daher Wahrheiten, um sich effektiv ihren Weg durch das Dickicht von Risiken und Chancen zu bahnen.“

Über diese wenig überraschende Einsicht hinaus schreibt Frankfurt dem Menschen aber auch noch ein inhärentes „Streben nach Wahrheit“ zu. Dieses bestehe darin, in Übereinstimmung mit der „eigenen authentischen Natur“ zu leben. Dass diese Authentizität spätestens mit den Ergebnissen der Hirnforschung mehr als fragwürdig geworden ist, scheint Frankfurt ebenso wie die gesamte philosophische und literarische Rationalismus-Kritik schlichtweg zu ignorieren und kommt so zu dem Resümee: „Der Kern der Rationalität besteht darin, dass man sich von Widersprüchen frei hält.“

Es ist immer aller Ehren wert, die Philosophie auf den Boden der Tatsachen und der Alltagspraxis zurückzuholen. In diesem Falle macht es sich Frankfurt in seinem Feldzug gegen das postmoderne „Anything goes“ allerdings zu leicht und marschiert allzu forsch über zentrale erkenntnistheoretische Fragezeichen und Problemzonen rund um das Thema Wahrheit hinweg.
Auch stilistisch bleibt Frankfurt in „Über die Wahrheit“ blass und lässt die polemische Schärfe und Originalität seines „Bullshit“-Traktats vermissen. So ist der Erkenntnis- und Unterhaltungsfaktor dieses schmalen Büchleins alles in allem doch recht bescheiden.

Karsten Herrmann

Harry G. Frankfurt: Über die Wahrheit. Aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer. Carl Hanser Verlag 2007. Gebunden, 96 Seiten. 10 EUR.