Geschrieben am 2. Februar 2009 von für Bücher, Litmag

Heinz Strunk: Fleckenteufel

Feuchtgebiete trockengelegt

So, wie sich die Pornobranche bei ihren Filmtiteln gerne vom Blockbusterkino inspirieren lässt, provozieren auch literarische Bestseller immer wieder mal Parodien – man nehme z.B. den Herrn der Augenringe oder Barry Trotter. Diese zeichnen sich häufig durch eher slapstickhaften Haudraufhumor aus, der oft genug unter die Gürtellinie zielt. Dass es auch anders geht, zeigt Heinz Strunk. Von Frank Schorneck

Fleckenteufel ist ein Buch, das sich durch Aufmachung und Marketing an einen der Megaseller des Jahres 2008 anlehnt: Als „Feuchtgebiete des Mannes“ bewirbt der Rowohlt Verlag den neuen Roman von Heinz Strunk und das Cover lässt keinen Zweifel zu, dass Charlotte Roche-Leser angesprochen werden sollen. Mit dieser Vermarktung seines Romans ist Strunk mittlerweile nicht mehr ganz so glücklich: „Es lag nahe, das Buch satirisch als Antwort auf Feuchtgebiete zu positionieren. Natürlich wird es Leute geben, die mich nun als Trittbrettfahrer titulieren werden. Und was den Verkauf der ersten Auflage betrifft, mag das auch geholfen haben, aber wer sich die Mühe macht, das Buch zu lesen, wird merken, dass das Unsinn ist. Es ist ein sehr schönes Büchlein rausgekommen und wir überlegen, bei weiteren Auflagen von der jetzigen Covergestaltung abzugehen.“

Heinz Strunk „antwortet“ auf Charlotte Roche

Den Verdacht, es handele sich, so kurz nach Erscheinen seines zweiten Romans Die Zunge Europas im Herbst ’08, um einen marktbedingten Schnellschuss, räumt Heinz Strunk im Gespräch allerdings aus: „Die Zunge Europas hatte ich ja schon im September ’07 abgeschlossen, Fleckenteufel ist eher ein Gelegenheitswerk. Als Charlottes Roman herauskam, war ich verblüfft, was da reingeheimst wurde, wie die Feuilletons verrückt gespielt haben. Das hat mich sozusagen inspiriert, das ganze einmal „gut“ zu schreiben. Schließlich habe ich mich rund zehn Jahre lang eher im Verborgenen an der Thematik abgearbeitet, mit Hörspielen. Eigentlich hatte ich das für mich bereits abgeschlossen, dieses ganze Pipikacka-Zeug. Mit 46 sollte das möglich sein.“

Strunk schätzt dabei die Qualität seines „Gelegenheitsromans“ durchaus richtig ein. Fleckenteufel ist ein sorgsam strukturierter und unterhaltsamer Roman mit Witz und Charme – und das, obwohl es um Verdauungsprobleme, Masturbationsfantasien, alkoholische Exzesse und Morgenandachten auf einer evangelischen Jugendfreizeit im Jahr 1977 geht: Erzählt wird aus der Ich-Perspektive des sechzehnjährigen Thorsten. Thorsten, für sein Alter noch recht klein, wird von seinem Darm geplagt. Noch kurz vor der Abreise kommt es zu einer spontanen und dünnflüssigen Entleerung, die Busfahrt wird zu einer Tortur für die Rosette. Doch seit die Gruppe in Scharbeutz angekommen ist, quält ihn die Angst vor einem Darmverschluss. Mahlzeit auf Mahlzeit sammelt sich in seinen Eingeweiden an, Erlösung scheint nicht in Sicht. Ähnlich angestaut ist seine sexuelle Energie, die sich in beiderlei Richtungen Bahn zu brechen sucht. Tagträume von Andreas, dessen Rute sich in den Wranglers überdeutlich abzeichnet, wechseln ab mit einem Verlangen nach Susanne, der „Göttlichen, Unberührbaren“. Bei Strunk ist die Handlung nicht Vorwand für eine Aneinanderreihung von Ekelsequenzen, vielmehr erzählt Fleckenteufel sehr lebensnah von den Irrungen und Wirrungen der Pubertät, insbesondere von den diffizilen gruppendynamischen Prozessen in dieser Altersgruppe. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe definiert sich häufig durch das Abgrenzen gegenüber einer anderen, schon zu Beginn der Fahrt taxiert Thorsten die Mitfahrenden, kommt bei dem einen oder anderen früh zu der Feststellung „der wird es noch schwer haben“ – dabei verdrängend, dass auch er über ausreichend Außenseiterpotenzial verfügt. Das Wechselbad von Coolness und Gefühl, den schmalen Grat zwischen dem Wunsch, erwachsen zu sein und der gleichzeitigen Sehnsucht nach kindlicher Sicherheit in festen, ritualisierten Strukturen, kleidet Strunk in passende Bilder – etwa, wenn Thorsten, der sich auf der einen Seite noch nach der heilen Welt der 5 Freunde sehnt, nun Charles Bukowski für sich entdeckt.

Authentisches Zeitporträt statt spätpubertärer Furzhumor

Bemerkenswert ist, dass Strunk auch bei farbenfrohen Schilderungen diverser Ausscheidungen nicht wirklich Ekelgrenzen überschreitet. Auch wenn die ersten Seiten die Befürchtung nähren, in dem Roman könne ein spätpubertärer Furzhumor vorherrschen, wie er allzu viele Filmpersiflagen der Marke Scary Movie dominiert – Strunk ist keinesfalls bemüht, sich in der Schilderung von Abstoßendem zu steigern, sondern bringt den Roman zunächst in ruhigere Fahrwasser. Hier sieht er auch seine Stärke: „Wer sonst könnte über Ekliges so schreiben wie ich, dass es nicht eklig ist, dass die Komik überwiegt und nichts abstoßend ist?“, erklärt er selbstsicher.

Auch Thorstens homoerotische Vergewaltigungsfantasien dienen keinem plumpen Tabubruch, sondern fügen sich stimmig in das Gesamtbild. Möglichen Fragen nach der autobiografischen Komponente sieht Heinz Strunk gelassen entgegen: „Ich bin ja einer der wenigen Autoren, die damit sehr offen umgehen, die sich nicht hinter dem Rücken ihrer
Romanfiguren verstecken. Durch meine Arbeiten zieht sich der rote Faden der Wahrhaftigkeit. Ich habe nie drüber nachgedacht, ob da nun jemand sagen könnte was war denn da mit dem Strunk los oder auch was ist mit dem los. Ich denke, gerade in der Zeit der Pubertät sind viele Jungs noch sexuell desorientiert, vom Aussehen her eher androgyn, die Mädchen wollen noch nicht so recht und man traut sich vielleicht auch nicht ran. Viele haben die ersten sexuellen Erfahrungen zunächst mit dem eigenen Geschlecht – auch wenn sie für sich schon wissen, dass sie nicht schwul sind.“ Und auch die Verdauungsprobleme seines Helden kann Strunk sehr gut nachvollziehen: „Gott sei Dank ist das heute nicht mehr so schlimm, aber wenn ich früher an einen fremden Ort gefahren bin, konnte ich da erstmal nicht auf Toilette.“

Doch auch abgesehen von den autobiografischen Verweisen ist Heinz Strunk mit Fleckenteufel ein authentisches Zeitporträt der deutschen Provinz in den 1970er Jahren gelungen: Der Geist der RAF spukt selbst durch die Jugendfreizeit, und die Nachricht von Elvis Presleys Tod findet erst mit einem Tag Verspätung ihren Weg nach Scharbeutz – eingebettet in die Andacht von Pastor Schmidt. Überhaupt, die Andachten: Hier hat Strunk groteske Collagen gefertigt, die explizit mit Originalzitaten arbeiten. Derart abstruse Gleichnisse kann sich kein Autor ausdenken, dazu muss man Theologie studiert haben …

Frank Schorneck

Heinz Strunk: Fleckenteufel. Roman. Rowohlt TB-Verlag 2009. 224 Seiten. 12,00 Euro.