Nach der Reise
Reisen, Abenteuer, Männerfreundschaft ohne Worte: Carola Ebeling fragt sich, ob Hermann Mensing mit Poplife einen klugen Männerroman geschrieben hat.
Sie reisen, sie erleben Abenteuer und bestehen diese. Steven, Paul und Hans. Drei schweigsame Männer. Sie verlieren sich aus den Augen, treffen sich wieder und bleiben dann durch ein großes Unglück ein Leben lang miteinander verbunden. Das sind fast klischeehafte Motive. Dazu kommen sehr große Fragen nach Schuld, Schicksalhaftigkeit, Tod und Vergänglichkeit. Das ist eine bekannte Mischung – hat Hermann Mensing also einen altbackenen Männerroman geschrieben und ihn mit dem modernen Titel Poplife aufgepeppt? Den Eindruck kann man zu Beginn der Lektüre haben, doch darf man das überhaupt so sagen: Männerroman?
Was Frauenromane oder Frauenbücher sind, scheint klar zu sein: Hera Linds Geschichten von Superfrauen oder Gaby Hauptmanns sexy Sporenweiber. Dazu die vielen namenlosen „Mein Po ist zu dick, trotzdem finde ich am Ende doch meinen Prinzen“-Traktate. Klar, in die Feuilletons kommt das nicht. Was aber könnte ein Männerroman sein? Gibt’s eigentlich nicht. Dabei ist zum Beispiel Martin Walsers letztes Buch Ein liebender Mann doch eine ziemlich abgenutzte Männerfantasie: Alter Mann, „blutjunges“ Mädchen – eine ganz verstaubte Konstellation. Aber Hochliteratur, und die gilt ja immer als universell. Männerroman nennt das keiner.
Vielleicht aber gibt es ja eine Art klugen Männerroman. Vielleicht hat Hermann Mensing ihn mit Poplife doch geschrieben. Denn beim Weiterlesen wird deutlich, dass es in Poplife um explizit männliche Lebensentwürfe geht, zugleich aber deren Hinterfragung betrieben wird. Weil Mensing Brüche einbaut und seinen Figuren sehr naherückt, und weil er eine sehr dichte Erzählweise entwickelt, ist Poplife keine Wiederholung des längst Bekannten.
Wie kann ein kluger Männerroman aussehen?
„Die Frage lautete, wie wird man, was man noch nicht weiß? Wie findet man einen Weg, den Erwartungen der Eltern zu entgehen? Darum ging es. Das kann man voraussetzen. Sonst wären Paul, Steven und Hans nicht unterwegs.“ Paul, ein spröder Schweizer, Steven, ein Engländer, der sein Architektur-Studium abbricht, und Hans aus Westfalen: Sie sind verbunden durch diese Haltung, die Ende der 60er, Anfang der 70er für viele ihrer Generation galt. San Francisco ruft, Flower Power – Hippies sind sie keine, aber irgendwas haben sie doch mit ihnen zu tun. Sie machen sich auf, das Unterwegsein zählt. Hawaii, Mexiko, Afrika, Marokko … Irgendwo begegnen sich erst Paul und Hans, später treffen sie auf Steven. Da könnte die Geschichte vom Reisen bald zu Ende sein. Aber nach zwanzig Jahren lädt Paul, inzwischen erfolgreicher Immobilienmakler, Steve und Hans ins Tessin ein.
Und dies ist der Tag, der das Leben der drei von Grund auf verändert, es in ein Davor und Danach teilt. Eine Katastrophe, die früh angedeutet und bis zum Schluss nicht auserzählt wird. Aber man weiß bald: Hans und Paul haben ihre Liebsten verloren, ihre Frauen und Kinder, die bei einem Bootsausflug ertrunken sind. Und erinnert wird das weitere vierzehn Jahre später, das ist die erzählte Gegenwart; noch einmal treffen sich diese drei.
Doch die Zeitebenen wechseln bei Hermann Mensing ständig, einerseits scheinen die Sprünge abrupt: Ob man gerade auf Reisen ist, an jenem Unglückstag oder in der erzählten Gegenwart, bemerkt man oft erst mit einiger Verzögerung. Andererseits ist es eher ein Ineinanderfließen, lassen sich die Zeiten, die Bilder und Erinnerungen nicht deutlich trennen. So holt der Autor die Vorgänge des Erinnerns gekonnt erzählerisch ein: Eine Assoziation, ein Wort rufen ein altes Bild hervor, das andere nach sich zieht.
Gebündelt wird alles im Fokus auf das große Unglück: Was wäre wenn – diese Frage ist bei Mensing alles andere als müßig. An welchem Punkt der Geschichte hätte die Entwicklung hin auf die Katastrophe gestoppt werden können? Fast quälend wird diese Frage immer wieder aufgeworfen, weniger von den Protagonisten selbst als vom kommentierenden, alles überblickenden Erzähler – wären sie sich doch nie begegnet: „Zwei also, die einen Dritten treffen. Aber da sich der Weg dieser drei durch ein Leben zieht, ist es ein schicksalhafter Tag, ein Tag, den man sich fortwünscht, ein Tag, den man verflucht (…). Trotzdem bricht er an. Trotzdem geht die Sonne auf.“
Die Katastrophe zwingt zur Auseinandersetzung
Trotzdem haben sie überlebt; sind sie es, die mit dem Weiterleben klarkommen müssen. Diese erzwungene Auseinandersetzung mit sich selbst, mit ihren Erinnerungen und auch miteinander macht die Geschichte der drei interessant. Hier baut Mensing die Brüche in seine männlichen Biografien ein. Was bedeutet zum Beispiel Erfolg: Geld haben und all das, was es dafür zu kaufen gibt, das Haus, das Auto? Hans, der Schriftsteller, der sich mehr schlecht als recht durchschlägt, ist den Träumen von einst am nächsten geblieben, hat keine „pragmatischen Lösungen“ gesucht. Verachten ihn die beiden anderen insgeheim dafür? Oder beneiden sie ihn gar? Wie ist das Schweigen zwischen ihnen zu durchbrechen, das immer da war und nach dem Unglück noch undurchdringlicher scheint? Doch jetzt müssen sie um Worte ringen, und diese Passagen sind eindringlicher und stärker als die vielen erzählten Stationen ihrer Reisen. Das wirkt manchmal wie Weltkarten-Namedroping.
Seiner Figur Hans kommt Hermann Mensing am nächsten. Zufall dürfte das nicht sein. Hans, vielleicht ein Alter Ego des Autors, findet am ehesten Worte für die Brüche im Selbstentwurf. Auch für seine Trauer und Verletzbarkeit – und für die der beiden Freunde. Männliche Figuren, die solcherart über das eigene Ich hinausschreiten, gibt es nicht allzu viele. Am Schluss wird Hans das starke Gefühl für Steven und Paul, das ihn für einen Moment überwältigt, ohne Umschweife Liebe nennen.
Mensing hat einen klugen Roman über Männer geschrieben. Man kann das spielerisch auch einen klugen Männerroman nennen. Genauer betrachtet, macht solch ein Buch aber deutlich, dass gute Literatur, auch wenn sie sich auf die Erfahrungen eines Geschlechts konzentriert, für beide, Frauen und Männer, erkenntnisreich ist und die Geschlechterdefinitionen selbst verrückt. Auf diesem Level von Literatur taugen die Geschlechtsetikettierungen nicht.
Carola Ebeling
Hermann Mensing: Poplife. Roman.
Wien: Luftschacht Verlag 2009. 305 Seiten. 21,40 Euro.