Riskante Ermittlungen im illegalen Wettmilieu
Aktueller geht es wohl kaum angesichts der jetzt hochkochenden Wettskandale bei hochkarätigen Tennis-Turnieren und im Profi-Fußball: Der im Hamburger Wettmilieu spielende Krimi „Auf kurze Distanz“ von Holger Karsten Schmidt zeigt, dass nicht nur im Fußball kriminelle Kartelle mit illegalen Absprachen Spiele manipulieren und Kasse machen. Von Peter Münder.
„Es geht nur in erster Linie um Wettbetrug im großen Stil. Das ist nur die Fassade. Es geht um all die Kapitalverbrechen, die damit zusammenhängen“. HK Schmidt: Auf kurze Distanz
Wetten dass? Beim Testspiel des Drittligavereins SV Wehen Wiesbaden gegen die Reserve von Borussia Mönchengladbach im türkischen Winterlager Belek, das Wehen mit 3:1 gewann, gab es zwei dubiose Elfmeterentscheidungen des türkischen Schiedsrichters, außerdem wurden auffällige Wettaktivitäten vor diesem Spiel registriert. Beim Australian Open Tennisturnier in Melbourne gab es auch viele Hinweise auf Wettbetrug, doch nun stellte sich heraus, dass diese Betrügereien schon seit zehn Jahren laufen, 16 Spieler als Wettmanipulateure verdächtigt werden, italienische und russische Wettanbieter involviert sein sollen und selbst in Wimbledon Spiele manipuliert wurden. Die für die Überwachung illegaler Aktivitäten zuständige TIU (Tennis Integrity Unit) bleibt jedoch untätig oder sie ist völlig überfordert. Bisher wurden nur zwei Spieler gesperrt, die ihr Spiel 2007 im polnischen Zopot manipuliert hatten: Der Russe Dawidenko und der Argentinier Argüello. Diese Manipulationen ziehen immer weitere Kreise, betreffen immer mehr Sportarten. Millionensummen werden beim illegalen Wetten – auch auf deutsche Spiele – in Asien umgesetzt. Aber wie sieht es hier vor unserer Haustür aus? Das fragte sich Holger Karsten Schmidt, der im Hamburger Wettmilieu recherchierte und hier seinen Krimi spielen lässt.
Zweitausend Euro auf Sieg von Holstein Kiel in der 2. Halbzeit gegen den SV Wilhelmshaven
Als Kommissar Klaus Burck im Großraumbüro der Kieler Wasserschutzpolizei vor allen Kollegen wegen angeblicher Unterschlagung von Beweismaterial festgenommen wird, ist das für ihn ein ziemlicher Schock – er kann nur „Das ist ein Irrtum“ stammeln, dann wird er schon abgeführt und landet in der Untersuchungshaft. Burck soll mit diesem Manöver eine neue Identität verpasst werden, damit er glaubhaft als verdeckter Ermittler im illegalen Hamburger Wettmilieu eingeschleust werden kann; doch dafür muss er erstmal weichgeklopft und von dieser Aktion überzeugt werden. Was dann aber ziemlich reibungslos funktioniert, weil ihm die Schreibtisch-Routine eh auf den Geist geht und er sich ohnehin schon für einen aufregenderen Job beim LKA beworben hatte. Er wurde zwar als „ungeeignet“ abgelehnt, „aber jetzt sind Sie es“, erklärt ihm Dudek, der Spezialist für verdeckte Ermittlungen vom Hamburger LKA, der ihn bei diesem Einsatz betreut. Der Mann mit dem schwarzen Volvo und dem Schäferhund namens „Madame“ gibt sich zwar kühl und reserviert, ist aber eine fürsorgliche Vaterfigur und weist Burck penibel in alle Finessen des Wettmilieus ein, in dem er den Goric-Clan des kriminellen kroatischen Paten ans Messer liefern soll. Über dessen umgänglichen Neffen Luka kann er sich nach einigen hohen Wetteinsätzen als Klaus Roth Zugang verschaffen und mit hohen Einsätzen auf spezielle Torschützen, auf das erste Bayern-Tor zwischen 20. Und 30. Minute oder auf rote Karten, Elfmeter-Entscheidungen oder sogar auf gekaufte Niederlagen beim Halbfinale der norddeutschen Tischtennismeisterschaften setzen. Kritisch wird es, als ein türkischer Wett-Clan dazwischenfunkt und dann noch die italienische Mafia meint, als stiller Teilhaber in diesem Milieu bequem abkassieren zu können. Da gerät Burck dann zwischen die Fronten, außerdem läuft er Gefahr, dass seine Spitzel-Aktivitäten jederzeit auffliegen.
Für den verdeckten Ermittler wird sein Job auch nicht einfacher, als er plötzlich zum Patenonkel des Goric-Nachwuchses avanciert und der Goric-Neffe ihn als guten Freund akzeptiert. Mit heißen Wett-Tipps aus dem Clan-Umfeld kann sich Burck sogar ein hübsches Zubrot verdienen und einen Mustang-Sportwagen zulegen – in der LKA-Bürokratie war man nämlich ratlos, wie diese Wettgewinne verbucht werden sollten. Hinzu kommt der heimelige Family-Touch mit Grillparty und privaten Treffen, die den Ermittler emotional fast überfordern. Hinter der harmlos wirkenden Fassade des Wett-Clans steckt aber, wie Dudek dem LKA-Spitzel glasklar vermittelt, eine brutale, gewalttätige Gier: „Erpressung, Nötigung, Raub. Schwere Körperverletzung, Totschlag und Mord. Diese Straftaten sind nicht einzeln zu bewerten, wir haben es hier mit OK-Delikten zu tun“.
Strukturen, die man bisher so nicht kannte
Holger Karsten Schmidt, bekannt als Drehbuchautor („Eberswalde“, „Mörder auf Amrum“), gelingt es, die Problematik einer „doppelten“ Identität mit all ihren psychischen Belastungen realistisch und spannend zu beschreiben und einen Plot zu entwickeln, der schnell auf Touren kommt und Konfliktsituationen knallhart auf den Punkt bringt und dabei ohne aufgeplusterte Effekthascherei daherkommt. Streckenweise auch mit norddeutsch-drögen Dialogen der beiden Polizeibeamten, die nach der kritischen Anfangsphase des gegenseitigen verbiesterten Anblaffens ihre Kommunikation verbessern. Beim spektakulären Showdown bleiben schließlich einige der kriminellen Zocker auf der Strecke, aber Schmidt ist trotz seiner Film-Affinität nicht darauf aus, mit großem Budenzauber Hollywood-Spektakel zu übertrumpfen. Jedenfalls liegt es ihm nicht, im Stil von Spezialisten für mexikanische Kartelle und deren Drogenkriege die Höhe von Leichenbergen als Qualitäts-Index zu bewerten.
Schmidt hat Strukturen und Verhaltensmuster aus dem Wett-Milieu beschrieben, die man so bisher nicht kannte. Er nimmt eine kriminelle Parallelwelt ins Visier, die bisher akzeptierte ethische Standards aggressiv und skrupellos untergräbt. Mit dem bestochenen Schiedsrichter Hoyzer war hier vor einigen Jahren ja die Spitze dieser korrupten Szene sichtbar geworden, inzwischen haben wir aber den FIFA-Skandal, die schwarzen DFB-Kassen usw. Und wenn Best in seinem brisanten Enthüllungsbuch noch darauf hinweist, das in Asien – speziell in Singapur – Millionen auf deutsche Fußballspiele – auch auf Drittligaspiele – gewettet werden, dann wird deutlich, was für ein Riesenproblem diese verschobenen Spiele und diese Wett-Mafia darstellen. Schmidt demonstriert mit seinem Roman, dass die besten Krimis neben ihrer aufregenden Spannungs-Dramaturgie auch gesellschaftskritisch funktionieren, wenn sie die harte Realität akribisch beschreiben. Jedenfalls ist Schmidt ein faszinierender Wurf gelungen; auf den nächsten Band mit diesem wunderbaren Duo Burck/Dudek bin ich schon gespannt.
Peter Münder
Holger Karsten Schmidt: Auf kurze Distanz. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2015. 332 Seiten. 9,99 Euro.
Vgl. dazu das großartige Standard-Sachbuch von Benjamin Best: Der gekaufte Fußball. Manipulierte Spiele und betrogene Fans. Murmann Verlag, Hamburg 2013. 240 Seiten.