Nazi-Enkel, Serienmörder, die Treuhand und der Egoismus
– Horst Eckert greift tief in die Geschichts- und Familienkiste – „Schattenboxer“ heißt sein neuer Roman. Eine Besprechung von Joachim Feldmann.
In der Nacht vom zweiten auf den dritten April 1970 kommt es auf einem Friedhof in Berlin-Neukölln zu einer denkwürdigen Aktion. Im „Schweiße ihres Angesichts“, so erzählt es der Journalist und Rechtsanwalt Butz Peters in seiner „Geschichte der RAF“ (Tödlicher Irrtum. Berlin 2004) buddeln Andreas Baader und zwei Gesinnungsgenossen nach Pistolen und Bomben, die dort angeblich im 2. Weltkrieg vergraben wurden. Der Rechtsanwalt Horst Mahler steht mit einer Freundin Schmiere. Nach einer halben Stunde vergeblicher Mühe lässt das Trio die Spaten ruhen. Da müsse er sich wohl noch einmal erkundigen, wo genau die Waffen versteckt seien, meint Peter Urbach, von dem der Tipp stammte. Und er sorgt dafür, dass man am nächsten fündig werden würde. Doch dazu kommt es nicht – in der folgenden Nacht wird Baader verhaftet. Urbach, der gelernte Rohrleger und V-Mann des Verfassungsschutzes, hatte der Berliner Kriminalpolizei den entscheidenden Hinweis geliefert.
„S-Bahn-Peter“, so sein Spitzname, ist eine der schillerndsten Figuren in der linken Bewegung der späten 1960er Jahre. Bereits zwei Jahre bevor er als vermeintlicher Waffenlieferant der frühen RAF in Erscheinung trat, hatte er während der Demonstrationen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke jene Molotow-Cocktails verteilt, die später gegen die Auslieferungsfahrzeuge des Springer-Verlags geschleudert wurden. Und bis heute gilt die Geschichte des 2011 in Kalifornien verstorbenen agent provocateurs als Beleg dafür, dass der bundesrepublikanische Linksterrorismus der 1970er und 1980er Jahre von Beginn an unter dem Einfluss von Geheimdiensten stand.
Der BND und die Treuhand
Wenn also Horst Eckert in seinem neuen Kriminalroman eine Verwicklung des BND in die Ermordung des Chefs der Treuhandanstalt – jener Behörde, die sich nach der deutschen Wiedervereinigung um die Abwicklung der „Volkseigenen Betriebe“ der DDR kümmerte – zu einem zentralen Element des Plots macht, kann man ihm keineswegs eine überbordende Fantasie vorwerfen. Bis heute sind die genauen Umstände des Attentats, dem Detlev Rohwedder – im Roman heißt er Rolf-Werner Winneken – am ersten April 1991 zum Opfer fiel, ungeklärt.

Detlev Rohwedder, Präsident der Treuhandanstalt (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0821-025 /Lehmann, Thomas, Wikimedia Commons 3.0)
„Schattenboxer“ ist der zweite Auftritt für Vincent Veih, Hauptkommissar bei der Düsseldorfer Kripo. Horst Eckert hat seinen ebenso mürrischen wie hartnäckigen Ermittler als Symbolfigur der jüngeren deutschen Geschichte gestaltet. Als Enkel eines Nazi-Kriegsverbrechers und Sohn einer ehemaligen RAF-Terroristin mit einem ungebrochenen Verhältnis zur Vergangenheit trägt Veih an einer doppelten Last. Auf den ersten Blick scheint der Fall, mit dem er betraut ist, damit nichts zu tun zu haben. Die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau wird gefunden. Und zwar ausgerechnet auf dem Grab der Adoptivtochter eines Polizisten, deren Selbstmord, zwei Jahre, nachdem sie ein brutales Verbrechen nur mit schwersten Verletzungen überlebt hatte, offenbar im Zusammenhang mit einem geplanten Wiederaufnahmeverfahren steht. Veih vermutet, dass das kein Zufall ist, und beginnt, den alten Fall wieder aufzurollen. Dabei fallen ihm allerhand Ungereimtheiten auf, die seinen Kollegen schwer belasten. Doch das ist nicht die einzige brisante Spur. Es bleibt nämlich nicht bei dem einen Mord, und der Kriminalist sieht sich wider Willen gezwungen, in der Vergangenheit seiner Mutter zu ermitteln.
Denn er ist nicht die einzige symbolträchtige Figur in diesem Roman. Auch der von ihm gejagte Serienmörder wirkt, vor allem, wenn er sich als genialer Künstler imaginiert, wie die groteske Verkörperung des Alptraums, der auf die Illusion absoluter Freiheit folgte. So erscheint der ideologisch legitimierte Hedonismus der 68er als Camouflage für grenzenlosen Egoismus.
Doch damit erschöpft sich die politische Dimension dieses vielschichtigen Thrillers nicht. Am Ende steht die fiktionale Aufklärung eines weitreichenden Komplotts, die in der Realität noch auf sich warten lässt.
Horst Eckert erweist sich auch mit seinem zweiten Vincent-Veih-Roman als Spezialist für spannungsgeladene Familienaufstellungen mit überraschenden Konsequenzen. Dabei geht es gelegentlich, dem Genre geschuldet, recht drastisch, um nicht zu sagen sensationalistisch, zu. Aber auch das will gekonnt sein. Und Horst Eckert ist ein Könner.
Joachim Feldmann
Horst Eckert: Schattenboxer. Roman. Reinbek bei Hamburg: Wunderlich 2015. 395 Seiten. 19,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mehr zu Horst Eckert.
Joachim Feldmann bei Am Erker.