Geschrieben am 20. Februar 2013 von für Bücher, Litmag

Hunter S. Thompson im Porträt

Die Rolling-Stone-Jahre von Hunter S ThompsonFootball Season is over

„No More Games. No More Bombs. No More Walking. No More Fun. No More Swimming. 67. That is 17 years past 50. 17 more than I needed or wanted. Boring. I am always bitchy. No Fun – for anybody. 67. You are getting Greedy. Act your old age. Relax – This won’t hurt.“
Hunters letzte Notiz, bevor er sich mit einer .45er Magnum in den Kopf schoss, vor acht Jahren. Von Roland Oßwald.

Drama, Roman, Lyrik, Short Story oder Reportage. Die Reihenfolge spielt keine Rolle. Nur wenige Autorinnen oder Autoren beherrschen alle fünf Formen auf gleich hohem Niveau. Oder auch nur zwei davon. Die meisten schürfen entlang eines Orbits im Universum der Schriftstellerei. Das soll nicht als Vorwurf verstanden werden, bekanntlich tröpfeln immer wieder gute Romane, Gedichte, Stücke, Essays usw. aus der Pipeline.

Dafür haben Literaturkonsumenten und Zeitungsleser zu danken. Aus ihrer Perspektive sieht es, was die Grenzgänger angeht, ansonsten düster aus. Immer weniger Autorinnen oder Autoren gehen heute an den Start, um in das große Rennen ernsthaft einzusteigen. Prozentual gesehen natürlich. Aus dieser Reihe aufrichtiger Ehrgeizlinge tritt wiederum nur ein Quäntchen hervor, das die Formen zum Verschmelzen bringt, und allein in einem Promilleanteil der Texte gelingt das vollständig. Und die sind dann das Beste, was der Markt zu bieten hat. Ein wahrer Profi in diesem Geschäft, in manch eingefleischtem Kreis gilt er sogar als sein Begründer, war Hunter S. Thompson. Doktor. Nun ja. Gonzo.

Angenommen Gonzo leitet sich vom frankokanadischen Wort gonzeaux ab und bedeutet in etwa leuchtender Pfad, dann schmunzeln hartgesottene Fans mit Sicherheit und haben eventuell ihren letzten Höllentrip in Peru im Hinterkopf. Oder einen frühen Peyote-Rausch. Oder …? Nein, wahrscheinlich nicht. Angenommen Gonzo ist ein Begriff, der in den sechziger Jahren im Slang der irischen Diaspora in Boston denjenigen bezeichnet, der nach einem Saufgelage als Letzter noch aufrecht am Tresen steht, dann war Hunter Stockton Thompson auch darin ein Profi. Oder alttestamentarisch, hart gegen andere und hart gegen sich selbst.

Das Alte Testament ist dabei nicht so sehr ausschlaggebend, sondern in jedem Fall das Prinzip; es ist die grundlegende Voraussetzung für seine Arbeit. Thompsons Werk beweist es: „Mag sein, dass Gott dir vergibt, aber ich nicht.“ Tom Wolfe oder Bill Cardoso brachten schnell Worte wie New Journalism oder eben Gonzo Journalism in Umlauf. Die genaue Wortbedeutung kann sich jede Leserin und jeder Leser selbst zusammenreimen.

Steadman

Im Scanlan’s Monthly erscheint 1970 The Kentucky Derby is Decadent and Depraved. Text Hunter S. Thompson, Illustrationen Ralph Steadman. Er behandelt das jährliche Galopprennen in Louisville, Thompsons Geburtsstadt. Bis heute zählt der Artikel zum Besten, das im Sportjournalismus geschrieben wurde. In seinen Logen pafft eine völlig degenerierte High Society kubanische Zigarren, schlürft Champagner und Whiskey und schaut zu, wie der Pöbel vollgedröhnt bis an den Rand der Baseballkappe seine letzte Hausanleihe in einem komplett abgekartetem Rennen verzockt.

Die von Dekadenz und lebenslangen Lügen ausgezerrten Menschen auf der Bühne zu beschreiben ist die viel spannendere Geschichte als stupide zu berichten, wer gewonnen hat. Hunter und Ralph zeichnen in Louisville vom Derby ein gestochen scharfes Bild Amerikas, das auch heute noch jedes Blut in Wallung bringt; es sei denn die Leserin oder der Leser sind schon derart abgebrüht und haben einen so eiskalten Blick auf alles, dass ihr Leben nur noch im sinnfreien Raum möglich ist.

„Rosa Gesichter mit stilvollen Südstaatler-Hängebacken, alter ‚Iv‘-Stil, Seersucker-Jacketts und angeknöpfte Hemdkragen. ‚Maiblüten-Senilität‘ (Steadmans Bezeichnung) … früh ausgebrannt oder vielleicht von vornherein nicht genug Substanz, um überhaupt ausbrennen zu können. Nicht viel Energie in diesen Gesichtern, nicht viel Neugier. In Schweigen leidend, keine Aussicht in diesem Leben nach dreißig, einfach nur bei der Stange bleiben und die Kinder bei Laune halten. (…) Schlimmste Säuferdelirien und zu viele biestige Kommentare im Bridgeclub. Genießt die Baisse zusammen mit dem Aktienmarkt. Oh, Himmel, der Bengel hat den neuen Wagen zu Schrott gefahren, hat ihn um die Steinsäule unten an der Ausfahrt gewickelt. Gebrochenes Bein? Angeknackstes Auge? Schick’ ihn rauf nach Yale, da kriegen sie alle wieder hin.“

Das sitzt. Eine immer noch gültige Skizzierung des Geldadels und seiner Handlanger, stellvertretend für alle parasitär geführten Gesellschaften. Und zu allem Überdruss macht es den Anschein, dass daran immer schwerer zu rütteln ist. Brot und Spiele – Angst und Schrecken.

„So was wie Witze gibt es nicht. Die Wahrheit ist der größte Witz von allen.“ – Muhammad Ali

Hunter S. Thompson hat als Sportreporter angefangen, und bis zum Schluss ist er dem Genre treu geblieben. Kein Autor kommt Muhammad Ali so nahe wie Hunter in „Der letzte Tango in Vegas!“ und das nicht etwa, weil der Weltmeister auch aus Louisville stammt, und sie über die alte Heimat palavern können. Hunter gelingt es, alle neun oder wie viel Gräben auch immer, die von Alis Team um den Champ herumgezogen worden waren, zu überwinden. In seinen Memoiren „Dear Muffo“ schreibt Alis Promoter Harold Conrad:

„Ich weiß nicht, wie der Doktor es angestellt hat, aber irgendwie hat er es geschafft, mit Ali klarzukommen. Das Interview gehört zu den besten, die ich je gelesen hatte, und ich halte ‚Der letzte Tango‘ in Vegas für brillant, auch wenn er mich darin als Schweineficker tituliert hat.“

Von Schweinefickern weiß Doktor Hunter S. Thompson viel zu berichten. Seine Darstellung der Journaille während der Super Bowl ’74 sollte in jeder Sportredaktion über dem Schreibtisch hängen. Wahrscheinlich färbt das Milieu ab, von dem sie zu berichten hat. Was ist schon zu erwarten von Menschen, deren täglicher Umgang von dubiosen Oligarchen oder gierigen Managern der großen Sportbekleidungshersteller diktiert wird? Wo regelmäßig Geldkoffer in die Verbandsvorstandszimmer getragen werden. Wo Funktionäre gehalten und gezüchtet werden wie Rennställe in der Formel 1. Wo eine selbstgewisse Aristokratie der Instinkte von Alphatieren regiert. Sportjournalisten wachen jeden Tag zusammen auf mit der Gier und gehen mit ihr auch liebend gern zu Bett. Nicht so wie die Frau oder der Mann in der Eckkneipe, sondern immer getrieben von der bissigen Überzeugung in die erste Klasse zu gehören. Der Hunger auf die Story ist zu groß, um aufrecht mit uns am Tresen ein Bier zu trinken, ohne zu erwarten, dass dabei etwas für sie herausspringt.

„Vorher, als die Bar noch geöffnet hatte, herrschte im Erdgeschoss ein Riesengedränge: betrunkene Sportjournalisten, Nutten mit eiskaltem Blick, umherschweifende Schleimer und Koberer (fast jeder erdenklichen Sorte) und eine Legion von Spielern, Amateure wie Profis, aus dem ganzen Land, die durch die trunkene, geile Menge strichen – so lässig wie möglich – und ausspähten nach irgendeinem Verzweiflungseinsatz in letzter Minute von einem armen Hund, halb irre von der Sauferei und willens, Kohle, vorzugsweise vier oder fünf große Scheine, auf ‚seine Jungs‘ zu setzen.“

Die Liebe zum Besitz ist eine Krankheit, die sie haben. – Sitting Bull

Häufig beißen sich Menschen der schreibenden Zunft über Jahre oder Jahrzehnte hinweg an einem Thema und/oder einer Person fest. Bearbeiten er/sie/es immer wieder aufs Neue. Recherchieren, tauchen tief ein in konzeptionelle Schizophrenie, regen sich gnadenlos auf, bringen ihr Destillat zu Papier, trinken über die Maßen, um alles zu vergessen, und fangen vorne wieder an, weil Trinken, um zu vergessen, nicht funktioniert, sondern vielmehr dem Erinnern dient. Hunter S. Thompsons Prügelknaben sind die amerikanischen Präsidenten und darüber hinaus alles, was zu einer Präsidentschaft dazugehört. Person, Wahlkampf, Programm, Ziele, Lügen, Kriege und Opfer, Erfolg und Scheitern, Größenwahn und Gier, Zukunft und Geschichte. An jedem Punkt arbeitet er sich auf, akribisch bis über das bittere Ende hinaus. Sein Präsident ist Richard Milhous Nixon. In Hunters Augen Amerikas Alptraum, ein Möchtegern Mussolini, der den totalen Untergang organisiert. Einem Mann, der in Südostasien hunderttausende Menschenleben zu Tode bomben lässt, muss er sich mit ganzer Kraft entgegenstellen. Jahre später revidiert er sein Urteil und schreibt, dass Nixon neben George W. Bush wie ein gemäßigter Liberaler anmute.

Für das Rolling Stone Magazine zieht Hunter S. Thompson 1972 nach Washington, um über die gesamte Wahl ’72 zu berichten – von den Vorwahlen der Demokratischen Anwärter bis hin zur eigentlichen Präsidentenwahl selbst. Jann Wenner und Hunter entwickeln diese Idee im Sommer ’71, ohne zu ahnen, was sich Thompson und der Rolling Stone damit aufhalsen. Ihre Umsetzung verlangt Hunter ein volles Jahr auf der Überholspur ab. Von Dezember 1971 bis Dezember 1972. Macht und Ohnmacht trennt im besten Fall eine einzelne permeable Membran. Entscheidungen stehen ständig im Begriff von irgendeiner mörderischen Substanz oder einem entlaufenen Alien aus der Area 51 zerstäubt zu werden. Und bekanntlich ist Zeit das tödlichste Gift von allen. Die Bilanz dieser zwölf Monate hat 505 Seiten und trägt den Titel „Fear And Loathing On The Campaign Trail ’72“. Danach haben alle ausgeträumt. Unterm Strich bleiben weitere vier Jahre Nixon. Zumindest sieht das die amerikanische Verfassung so vor, nachdem Nixon seinen Herausforderer George McGovern (Hunters Mann) im November 1972 vernichtend geschlagen hatte.

https://www.youtube.com/watch?v=49GoedRlb9w

Aber dann tauchen immer häufiger die Namen der Watergate Seven in Zusammenhang mit dem Einbruch und den ganzen anderen Sauereien auf den Bändern und in der Presse auf, und die Sache nimmt ihren Lauf. Aus dieser zum Glück auf Papier gebrachten Ochsentour kann jeder lernen, der einen Griffel in die Hand nimmt, um über Politik zu schreiben. Das Rezept ist nicht einfach. Und die Zutaten sind schwierig zu bekommen. Der Bestandteil, der am wenigsten Probleme bereiten dürfte, ist der Herauszufordernde. Verbrecher wie Richard Nixon streifen in Rudeln in der Politik durch die Lande. Interessant sind aber auch die Wahlkampfmanager McGoverns: Gary Hart und Frank Mankiewicz…Mankiewicz zum Beispiel steigt Jahre danach bei der Lobbyistengruppe Hill&Knowlton ein (eine Truppe, die allein schon 5000 Worte Platz einnehmen müsste, aber wir wollen hier nicht abschweifen).

Mankiewicz’ Karriere ist vergleichbar mit dem politischen Werdegang unseres Realowendehalses Joschka Fischer – die Verwandlung eines moralisch agierenden Linken zu einer zynischen, rechten Machtmaschine. Was dem Ganzen nie fehlen darf, ist eine Busladung voll ausgeharkter Journalisten, gespickt mit so ultrarechten Knallchargen wie Patrick Buchanan. Und dann natürlich der Doktor selbst und sein Assistent: Tim Crouse. Für alle Fälle aber immer ein großer Beutel voll Speed. Mit Sicherheit der wichtigste Zusatz der ganzen Unternehmung ist allerdings Haltung. Thompson schreibt mit Haltung.

Er stellt sich von Beginn an voller Überzeugung hinter den Demokraten George McGovern. McGovern steht für den Rückzug aus Vietnam, für die Amnestie fahnenflüchtiger Kriegsgegner, für die Kürzung von Rüstungsausgaben, für ein bedingungsloses Grundeinkommen. McGoverns parteiinterne Widersacher Hubert Humphrey und Ed Muskie nimmt der Doktor während der Vorwahlen einen nach dem anderen genüsslich auseinander, bei lebendigem Leibe natürlich, vom Geist mal abgesehen einer Vivisektion gleichend.

„Seit Wochen weiß eigentlich jeder, dass Humphrey eine exotische Sorte Speed nimmt, die unter dem Namen Wallot bekannt ist … und seit Langem wurde geflüstert, dass Muskie zu einer Droge von schwerem Kaliber greift, aber ich mochte das Gerede nicht recht ernst nehmen, bis ich vom Auftauchen eines mysteriösen brasilianischen Arztes hörte. Das war des Rätsels Lösung.
Ich erkannte sofort die Ibogain-Symptome – von Muskies tränenreichem Nervenzusammenbruch auf dem Pritschenwagen in New Hampshire über die Wahnvorstellungen und illusionären Verkennungen während seines Wahlkampfs in Florida bis hin zu jenem „ungehemmten Jähzorn“, der schließlich in Wisconsin von ihm Besitz ergriff.
Kein Zweifel also: Der Mann aus Maine hatte keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als Ibogain in großen Dosen einzunehmen. Es blieb nur die Frage: Wann hatte er damit begonnen?“

Bevor ausgedehntes Blöken ausbricht, hier werde die Politik oder vielleicht auch ihr kleiner Tippelbruder, die Politikberichterstattung, nicht ernst genommen, ist es ratsam, das Werk des Doktors ein wenig gründlicher unter die Lupe zu nehmen. Kaum jemand beobachtet das politische Leben, oder vorzugsweise Ableben seiner Zeit so besessen wie Hunter. Mitten ins Schwarze trifft sein Text Deutsches Jahrzehnt: Der Aufstieg des Vierten Reichs. Feinkost Paranoia aufgetischt vom besorgten Doktor Thompson. Recht wird er mit seiner Angst vor den Deutschen gewiss behalten. Am Ende steht immer irgendwo ein kaltblütiger Germane mit einem Maschinengewehr und bringt eine Gruppe unschuldiger Menschen um. Ist alles nur eine Frage der Zeit oder des Timings, auf jeden Fall aber rückblickend in der Geschichte nicht zu leugnen.

„Ein hochgewachsener blonder Mann mit strahlend blauen Augen kam ins Riviera Café und rempelte wahllos die Leute an. ‚Sieg Heil! ‘, brüllte er. ‚Ich bin ein Berliner! ‘
Es war Mitternacht an einem Sonnabend in Greenwich Village, und ich hockte an der Bar und sah mir die Fernsehnachrichten an – Horden wild gewordener Deutscher drängten über die Berliner Mauer. Eine riesige Menschenmenge auf beiden Seiten des Brandenburger Tors sang ‚Deutschland über alles‘, und manche reckten Fäuste mit Geldscheinen in die Höhe.“

Eine Meldung, deren Erklärung länger als zehn Sekunden dauert, bleibt nicht haften, und ist daher wertlos. – Dan Rather

Geschulte Beobachtungsgabe, willens zuzuhören und ein feines Gespür für Gerechtigkeit sind Grundvoraussetzungen im Geschäft des Gonzo-Journalismus. Einen Beweis dafür, dass Hunter S. Thompson dem richtigen Job nachgegangen ist, liefern die Aufsätze Befremdliche Töne in Aztlan und Die Todesfee schreit nach Büffelfleisch. Ersterer erzählt von der Brown-Power-Bewegung der frühen 70er Jahre und dem Mord an Ruben Salazar. Ruben Salazar ist der einzige einigermaßen einflussreiche Journalist, der von den Pressekonferenzen des Brown-Power-Movements berichtet.

In seinen Recherchen untersucht Thompson den Tathergang, nachdem die Polizei von Los Angeles den Schädel des unangenehmen KMEX-Moderators mit einer Reizgasgranate in zwei Teile zerschossen hat, als er in einer Bar ein Bier trank. Die anschließenden Presseerklärungen des L.A.P.D. stinken zum Himmel, und jeder, der nicht gerade einen gewaltigen Ketaminrausch zu knacken hat, weiß sofort, was da gelaufen ist.

Die Salazar-Geschichte kocht die ohnehin aufgeheizte Stimmung noch mal gründlich auf. Demonstrationen werden organisiert. Unruhen scheinen unausweichlich, und die Polizei und der Staat Kalifornien unter Governor Reagan rüsten auf, um die Chicanos unter Kontrolle zu halten. Es grollt im Herzen Aztlans. Helikopter, Suchscheinwerfer, Hausdurchsuchungen, das ganze Programm 24/7. Was ist von einem alten Schauspielerspitzel wie Reagan anderes zu erwarten gewesen. Die Lage droht zu kippen. Hunter berichtet aus den Eingeweiden East L.A.s, dem Epizentrum der Chicano-Bewegung. Das kann er nur, weil der Anwalt Oscar Zeta Acosta, Dr. Gonzo, ein alter Freund ist. Ein Gabacho-Schreiber hätte sonst keine Chance, in die Nähe der Gruppe zu gelangen. Acosta ist einer der schärfsten Sprecher der Brown-Power-Bewegung. Er ist ein gefürchteter Anwalt, Autor, Politiker, Redner, Radikaler, konsumiert Alkohol und Drogen in ungewöhnlichen Mengen und fackelt, wenn es sein muss, auch den Vorgarten eines Richters mit Benzin ab.

63b4fa2e-3d08-4313-b250-5c6f9a8e8c61Wandeln mit dem Büffel

Oscar Zeta Acosta ist bekanntermaßen Doktor Gonzo in „Fear and Loathing in Las Vegas“. Raoul Dukes Weggefährte und Bruder im Geiste oder, wie Thompson mehrfach schreibt, einer von Gottes eigenen Prototypen. Und beinahe war er auch der Grund, weshalb „Fear and Loathing in Las Vegas“ noch vor der ersten Auflage eingestampft worden wäre. Acosta war gefallen. In Los Angeles war er als Anwalt mit Amphetaminen und anderen Drogen betrunken aus einem Auto gezogen worden.

Und die Gabacho-Presse weidete sich an seinem Scheitern wie die Geier in der Prärie an den Kadavern erlegter Büffel. Die Bewegung verkraftete Oscars Eskapaden nicht mehr. Das Rumfackeln, sein Drogenkonsum, die juristischen Feldzüge gegen das Schweinesystem (in geringfügigen Zivilrechtsfällen lud er gerne mal die gesamte Riege Verfassungsrichter Kaliforniens vor und klagte sie allesamt wegen Rassismus an) wurden ihm zum Strick gedreht. Seine Unterstützer wendeten sich ab, und Acosta zog sich nach Mazatlan zurück, um seine Wunden zu lecken.

In dieser Situation fragen die Anwälte von Thompsons Verlag bei Acosta an, ob sie bei Veröffentlichung des Buches eine Schadensersatzklage zu fürchten hätten. Acostas Antwort jagt den New Yorker Advokaten einen gewaltigen Schreck ein. Er ist immer noch lizenzierter Anwalt in Kalifornien. Seine hervorragende Bilanz vor Gericht ist landesweit bekannt. Aber all die Gesetzesübertretungen, der gigantische Drogenkonsum, der Handel mit Heroin, der Sex mit Minderjährigen, all die Monstrosität, die dem Charakter im Buch zugeschreiben wird, stört Acosta nicht im geringsten, sondern ausschließlich, dass Hunter ihn als 300-pfundigen Samoaner darstellt und nicht als 200-pfundigen Chicano-Anwalt. Acosta tobt wegen dieser diffamierenden Beschreibung. Er droht den Verlag mit Klagen einzudecken, wenn eine derart dreiste Entstellung nicht aus dem Buch gestrichen wird. Das hieße allerdings, man müsste Zweidrittel des Buches wieder auseinandernehmen und in Korrektur geben, und das kurz vor Druck.

Doch dann unterbreitet Acosta dem Verlag ein Angebot, das noch größere Verwirrung stiftet. Er besteht darauf, dass ein Bild von ihm im Schutzumschlag erscheint, damit er eindeutig als Dr. Gonzo identifiziert werden kann, nur dann würde er sich auf den Samoaner und die 300 Pfund einlassen. Die Anwälte sind ratlos. Sie bezweifeln, dass ein Kollege so irre sein kann. Acostas Anwaltslizenz wäre futsch. Sie wittern einen juristischen Trick, den die amerikanische Gerichtsgeschichte noch nicht gesehen hat.

Aber nirgendwo lässt sich ein Präzedenzfall für derart absurde Forderungen finden, und „Angst und Schrecken in Las Vegas“ kann schließlich der Druckerei übersandt werden. Es wird ein Welterfolg. Dr. Gonzo geht in die Geschichte ein. Zwei Jahre später verschwindet Oscar Zeta Acosta bei einer Reise in Mexiko. Bis heute ist weder er noch sein Leichnam entdeckt worden. Ein anderes Abtreten wäre undenkbar für den braunen Büffel. Genau das behandelt der zweite Aufsatz von der Todesfee. Es ist der Nachruf auf einen Freund. Mit Abstand das schwierigste Stück Arbeit für alle, die das Schreiben zum Beruf gewählt haben.

Die beste Dichtung ist weitaus wahrer als jede Art von Journalismus – und die besten Journalisten haben grade das schon immer gewusst – William Faulkner

Faulkners Äußerung liegt eine Ewigkeit zurück und mit dem Maßstab der Wahrheit hantiert nicht einmal mehr ein Verfassungsrichter herum, und doch, seine Beschreibung gilt es heute nochmal neu zu überdenken. Damals war es Zeit, dass die ehrwürdigen literarischen Hallen aufgemischt wurden. Hunter S. Thompson trat an und stellte schnell fest, dass es sich bei den Begriffen Dichtung und Journalismus um künstliche Kategorien handelt, die sich bei genauer Betrachtung tadellos auflösen, ohne Nachgeschmack. In so ein frisch entstandenes Vakuum musste natürlich etwas Neues hineinströmen. Der Damm brach in gewisser Weise ohne äußeren Druck. Und alles, was danach folgte, spricht für sich. Oder wem klingt der Eröffnungssatz von „Fear and Loathing in Las Vegas“ nicht immer noch in den Ohren? „Wir waren irgendwo bei Barstow am Rande der Wüste, als die Drogen zu wirken begannen.“

Roland Oßwald

Hunter S. Thompson: Die Rolling-Stone-Jahre. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner, Christoph Hahn und Wolfgang Farkas Heyne Hardcore 2012. 768 Seiten. Verlagsinformationen zum Buch.
Dr. Hunter S. Thompson: Fear And Loathing on the Campaign Trail ’72. Popular Library Edition 1973. 505 Seiten.
Hunter S. Thompson: Fear And Loathing In Las Vegas – Mit Zeichnungen von Ralph Steadman. Zweitausendeins 1977. Übersetzt von Teja Schwaner. 304 Seiten.
Hunter S. Thompson: Der Fluch des Lono. Heyne Hardcore 2011. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. 240 Seiten.
Hunter S. Thompson: Königreich der Angst. Wilhelm Heyne Verlag 2006. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. 479 Seiten.
Hunter S. Thompson: Gonzo Generation – Das Beste aus den Gonzo Papers. Wilhelm Heyne Verlag 2007. Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner. 574 Seiten.
Foto Thompson: MDCarchives; cropped by Beyond My Ken (talk) 05:04, 31 August 2011 (UTC), Wikipedia Commons.

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