Kafka, revisited
„Hoffnung ist Gift“ von Iain Levison ist ein brillanter, sarkastischer Wurf. Thomas Wörtche nennt ein paar Gründe dafür …
Jemand musste Jeff Sutton verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Tages verhaftet. Sutton ist Taxifahrer in Dallas. Texas und ein einziger Fingerabdruck, den er aus ganz plausiblem Grund im Haus eines Fahrgastes hinterlassen hat, ist der Auslöser dafür, dass er als Kindsentführer und -mörder in die Dynamik des US-amerikanischen Rechtssystems gerät. Mangels des wirklichen Täters beschließen die örtliche Polizei und die Staatsanwaltschaft, dass er der Mörder sei, ganz einfach, weil er gerade zur Hand ist, weil Verhaftungs- und Verurteilungsquoten wichtiger sind als Schicksale. Ob diese Geschichte nun einer wahren Begebenheit aus dem wahren Leben nachgebaut ist, wie die Paratexte uns treuherzig versichern, oder nicht und als ob dies irgendetwas besser oder schlechter macht, ist ziemlich unwichtig. Denn vermutlich sind Fälle wie die des Cab Drivers (so lautet der soziologisch präzise Original-Titel) Legion, wobei es allerdings eben nicht „jeden“ erwischen kann – diesen schein-demokratischen Trost verweigert der Roman entschieden.
What a nightmare
„Hoffnung ist Gift“ ist ein elegant geplotteter und erzählter Alptraum. Ein effektiver Schlag in die Fresse aller polizei- und obrigkeitsfrommer Schmöker, ein Dementi aller legal thriller, denen zufolge das „System“ nur manchmal von bösen Mächten missbraucht werden kann, aber im Grunde gut ist. Levison beschreibt genau die Rituale der Demütigung, die pragmatische Brutalität der Ordnungsmacht, der Vorverurteilung und der Willkür, die Gleichgültigkeit des Systems der „Wahrheit“ gegenüber, wenn nur die Formalia und Verfahren eingehalten werden.
Dieses wahrhaft monströse, keimfreie Schreckenssystem (in dem es nie dunkel wird), ist nicht für alle gleich. Während seiner Zeit in Untersuchungshaft, die Sutton aus Gründen der eigenen Sicherheit – er gilt als Kindsentführer, also in der Knasthierarchie ganz unten – im Todestrakt verbringen muss, kommt er mit einem typischen Mix von Menschen zusammen, die das „System“ im Extremfall schon so verinnerlicht haben, dass sie selbst ihrer eigenen Hinrichtung beifällig entgegensehen. Das ist, wie weite Strecken des Romans, von großartig grimmig-komischem Sarkasmus.
Sutton ist nicht reich, hat als männlicher weißer Unterschichtler an der Schwelle zum Aufstieg in die Mittelschicht so gut wie gar keine Lobby, sein Pflichtverteidiger scheint eine Pfeife erster Güte zu sein. Recht (von Gerechtigkeit redet hier niemand) kostet Geld und wer keines hat, endet schnell mal in der Todeszelle, und zwar nicht nur als „Gast“. Dieser eisigen Logik folgt Levisons Roman erbarmungslos. Und setzt eine extrem bösartige Pointe drauf. Sutton kann uns diese Geschichte, die strikt von seinem point-of-view aus inszeniert ist, nur erzählen, weil man mit ihm am Ende doch noch viel Geld verdienen kann. Selten war ein happy end so vergiftet und vor allem so auf den Punkt geschrieben.
Kafka, heute
Der in Aberdeen geborene, in den USA lebende und schreibende Levison hat einen scharfen Blick für die Verwüstungen einer nur noch mühsam von „Obrigkeit“ als Hausmeister zusammengehaltenen, profit-orientieren Gesellschaft. Schon in seinem Erstling, „Betriebsbedingt gekündigt“ (2005) hatte er dieses Thema angeschlagen. Ein Roman, der damals allerdings ein bisschen darunter litt, ein allzu deutliches Remake von Donald Westlakes „The Axe“ zu sein – oder würde man heute sagen: eine Hommage an eine literarische Tradition? Egal, seine Thesen und Erfahrungen mit den nicht glamourösen, nicht schöngeistig-literaturnotorischen Seiten der USA hat Levison dann immer wieder an verschiedenen gesellschaftlichen Feldern überprüft und seine Befunde in der ästhetischen Form der Romane artikuliert.
Insofern könnte man auch „Hoffnung ist Gift“ als beklemmendes, brillantes Remake von Kafkas „Prozess“ lesen. Beziehungsweise als dessen soziologisch und gesellschaftspolitisch präzise Erdung, nicht nur als existenzphilosophisches Experiment, sondern als dessen genaue Kontextualisierung. Kafka als Visionär, Levison als sein radikalster Aktualisierer.
Thomas Wörtche
Iain Levison: Hoffnung ist Gift (The Cab Driver, 2011) Roman. Deutsch von Walter Goidinger. Wien: Deuticke 2012. 255 Seiten. 17,90 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. TW bei kaliber38 über Levison.