Schottische Rhapsodie
– Was tun nach Rebus? Eine neue Serienfigur zu bauen ist gar nicht so einfach. Auch für Ian Rankin nicht. Der zweite Versuch mit Malcolm aber lässt hoffen. Henrike Heiland ist optimistisch …
Es fängt harmlos genug an: Malcolm Fox und sein Team sollen untersuchen, ob Constable Paul Carter von einigen seiner Kollegen gedeckt wurde. Gegen ihn läuft eine Anklage wegen sexueller Belästigung, und Fox‘ Aufgabe ist es, innerhalb der Polizei für Ordnung zu sorgen. Er gehört zur Abteilung für interne Ermittlungen. Was ihn jetzt nicht gerade zum Lieblingskollegen des Jahres macht. Als die Edinburgher nach Fife kommen, um mit ihrer Arbeit zu beginnen, sind die zu befragenden Detectives allesamt ausgeflogen, und auch ihre Vorgesetzte erweist sich als wenig kooperativ. Nun, man ist es gewohnt, von allen gehasst zu werden, rollt mit den Augen, fängt dann eben mit anderen Zeugen an, und so kommt es, dass sich Fox mit Carters Onkel trifft, um herauszufinden, warum der Ex-Polizist seinen eigenen Neffen ans Messer geliefert hat. Kurz darauf ist der Onkel tot. Paul Carter der Hauptverdächtige. Und Fox der Meinung, dass da etwas nicht stimmen kann, dass da mehr dahinterstecken muss.
Der tote Onkel recherchierte in seinem Ruhestand nämlich über den in den 80er Jahren verstorbenen Anwalt Francis Vernal, einem wichtigen Mann der schottischen Separatistenbewegung. Vernal kam bei einem Autounfall ums Leben, warum also sollte sich der alte Carter für ihn interessiert haben?
Es geht Fox nichts an, weil er kein – wie sein Vater sagt – richtiger Detective ist, kein richtiger Kriminalermittler, aber er hängt sich trotzdem an die Sache ran. Findet Carters Auftraggeber, taucht ein in die Vergangenheit, stört Kreise, die man besser ungestört lässt …

Ian Ranking (Quelle: wikipedia)
Der Nachfolger
Die Figur Malcolm Fox hat Ian Rankin einiges abverlangt. Einen Nachfolger für einen Charakter wie John Rebus zu finden, mit dem er immerhin zwanzig Jahre und siebzehn Romane verbracht hat, konnte nicht leicht sein. Nach so langer und intensiver Zeit braucht man wohl eine Pause – wobei Rankin ja angedroht hatte, Rebus ganz hinter sich zu lassen. Wenn allerdings der gesamte Ruhm auf diesem Charakter begründet ist, wird es schwer, die Fans von einem neuen zu überzeugen. Wie viele der Leser sind Rebus-Fans, wie viele die des Autors?
Am ersten Malcolm Fox schieden sich die Geister. Doch es gibt ein Leben nach Rebus. Nein, niemand wird je wie Rebus sein. Ian Rankin sagte immer wieder in Interviews, dass er versucht hatte, das Gegenteil von Rebus zu schaffen. Einen Inspector, der nicht trinkt, der keine seltsamen Frauengeschichten hat, der keine Musik hört, der nicht die Regeln bricht, sondern sie einhält, mehr noch, der auf Einhaltung achtet. Einen solchen Gegensatz aufzumachen, birgt Risiken, denn all das, was bei dem Neuen nicht der Fall sein soll, muss mit etwas anderem gefüllt werden, um der Figur Fleisch zu geben, die Komplexität, die Rebus hatte.
Es wirkte im ersten Fox-Roman noch sehr bemüht, was sich Rankin da vorgenommen hatte, doch in „Die Sünden der Gerechten“ scheint er seine neue Figur sehr viel besser zu kennen. Fox‘ Abstinenz wird erzählt, aber es wird nicht mehr bedeutungsschwanger darauf herumgeritten. Dass Fox statt Musik birdsong radio hört, wird nicht einmal mehr erwähnt. Der Fox im zweiten Band darf sich entwickeln, ohne sich mit komplizierten Eigenschaften, die mehr ein verkrampftes Abgrenzungskriterium waren, aufhalten zu müssen. Der private Fox kümmert sich um seinen pflegebedürftigen Vater. Inspector Fox macht seinen Job, und zwar gründlicher als er eigentlich soll. In dieser Gründlichkeit schimmert die Besessenheit eines John Rebus durch. Rankins Stärke ist es, Figuren glaubhaft zu erzählen, die gegen alle Widerstände etwas durchziehen. Nicht, weil Romanhelden das eben tun, sondern, weil sie ihre Geschichte haben und es zu ihnen gehört.
Heißt in der Konsequenz: Doch, Rankin hat wieder eine gute Serienfigur geschaffen. Die Dialoge sind pointiert, die Charaktere bis in die Nebenfiguren gut geführt, der Plot gewohnt vielschichtig. Thema diesmal: die schottische Separatistenbewegung der 80er Jahre samt der terroristischen Tendenzen und was aus den Akteuren im heutigen Schottland geworden ist. Was aus Schottland geworden ist, eigentlich. Und konnte er es nicht schon immer ganz hervorragend, die schottische Seele zu erzählen? Kann er immer noch, auch ohne Rebus, aber die Frage bleibt, wie viele Romane Ian Rankin schreiben muss, bis Rebus keine Rolle mehr spielt. (Der dritte Fall für Fox wird übrigens gleichzeitig der achtzehnte Rebus – da haben wohl nicht nur die Leser jemanden vermisst.)
Überflüssig allerdings, am Ende des Romans noch eine Verfolgungsjagd einzubauen, die weder Fox noch dem Rest des Buchs gerecht wird. Wozu dieser Griff in die Formelkiste gut sein sollte – weiß wohl nur der Autor. Doch bis dahin, und auch als Fazit: gutes Buch. Immer wieder schön, Rankin zu lesen. Grandioser, sehr eigener Schreibstil, gutes Gespür für Szenen. Und guter Typ, dieser Fox. Jetzt dann doch.
Henrike Heiland
Ian Rankin: Die Sünden der Gerechten: Ein Fall für Malcolm Fox (The Impossible Dead, 2011.). Deutsch von Conny Lösch. 512 Seiten München: Manhattan, 2011. 19,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Homepage des Autors. Homepage von Henrike Heiland.