Geschrieben am 24. Dezember 2007 von für Bücher, Litmag

Ignacio Padilla: Schatten ohne Namen

Rochaden und Verwandlungen

Ignacio Padilla erzählt in „Schatten ohne Namen“ die Geschichte einer mephistophelischen Wette um Leben und Tod und umkreist dabei nicht nur die Frage nach Identität und Herkunft, sondern eröffnet uns auch eine verblüffende Geschichtsvariation. Von Karsten Herrmann

Auf der Höhe des Ersten Weltkriegs befindet sich Thadeus Dreyer auf dem Weg an die Ostfront und damit in den fast sicheren Tod. Im Zug trifft er auf den Weichensteller Viktor Kretzschmar und spielt mit ihm eine Schachpartie um dessen Identität – und gewinnt. Doch der Rollentausch, der zunächst als ein „Versprechen auf Unsterblichkeit“ anmutet, erweist sich als teuflischer Pakt, „mit dem das Leben eines anderen ihm Seele und Körper vergiftete und ihn in einen Schatten verwandelte“.

Fünfzehn Jahre versieht Dreyer als Viktor Kretzschmar geflissentlich seinen Dienst als Weichensteller, heiratet und bekommt einen Sohn. Doch dann lässt er einen Zug entgleisen, in dem sich ein hoch dekorierter Oberstleutnant namens Thadeus Dreyer auf dem Weg zu einem Treffen der österreichischen NSDAP befindet. Während sein Vater im Gefängnis und später im Irrenhaus landet, macht sich sein Sohn Franz daran, die Geschichte aufzurollen und das Alter Ego seines Vaters öffentlich zu demaskieren. Doch bald muss er einsehen, dass er in einem gigantischen Verwirrspiel steckt, in dem andere die Fäden ziehen: „Jedes Ereignis meines Lebens wurde zum Teil eines Plans, den ein fremdes Gehirn kontrolliert.“

Raffiniertes Konstrukt

Ignacio Padilla hat mit Schatten ohne Namen einen unglaublich raffiniert konstruierten Roman vorgelegt, der aus verschiedenen Perspektiven und auf verschiedenen Zeitebenen erzählt wird. Mit einer atmosphärisch dichten und fast klassisch anmutenden Prosa führt er uns über Jahrzehnte hinweg von den Schrecken des Ersten Weltkriegs bis zu den Abgründen der Nazizeit. Hier erfährt der Leser von einem mysteriösen Doppelgängerprogramm und einem irrwitzigen Plan, die Judenvernichtung zu stoppen, mit dem der Eichmann-Prozess in einem neuen Licht erscheint.

Ignacio Padilla, einer der wichtigsten mexikanischen Gegenwartsautoren, hat mit Schatten ohne Namen einen grandiosen Roman geschrieben, in dem sich psychologischer Thrill mit Zeitgeschichte verbindet. Der Romanverlauf gleicht dabei einer fesselnden Schachpartie mit strategischen Bauernopfern, überraschenden Rochaden und Verwandlungen von Spielfiguren, die der Leser gespannt und atemlos verfolgt.

Karsten Herrmann

Ignacio Padilla: Schatten ohne Namen. Aus dem Spanischen von Frank Wegner. Tropen-Verlag 2007. 190 Seiten. 19,90 Euro.