Das Absurde und die Revolte
– Am 7. November 2013 wäre Albert Camus 100 Jahre alt geworden. Der früh verstorbene Literaturnobelpreisträger gilt als ein James Dean der Literatur und prägte mit seiner Philosophie des Absurden und der Revolte das Lebensgefühl einer ganzen Generation. Die Feuilleton-Chefin der ZEIT, Iris Radisch, nimmt das Jubiläum zum Anlass, Leben und Werk dieser Legende näher und neu zu beleuchten. Von Karsten Herrmann.
Iris Radisch verschränkt in ihrer Biographie aufs engste Leben und Werk von Albert Camus und markiert schon in den ersten Jahren entscheidende Ereignisse und Wegmarken für die späteren Jahre. So wird Camus 1913 als Algerien-Franzose unter ärmlichsten Umständen geboren und nur ein Jahr später stirbt der Vater im Ersten Weltkrieg: „Der abwesende Vater ist die erste große Leerstelle in seinem Leben“ urteilt Radisch. Camus wächst im Armenviertel von Algier mit einer schweigsamen, des Lesens und Schreibens nicht mächtigen und apathischen Mutter sowie einer strengen, den Ochsenziemer schwingenden Großmutter auf. Dennoch sollte die Mutter für Camus zu einem „Urbild heiliger Einfalt“ werden, die er Zeit seines Lebens „wie eine Heilige verehrt“.
Radisch sieht in diesen ersten Jahren schon genau jene „Tonlosigkeit“, die in seinem Roman „Der Fremde“ später als bahnbrechende Erneuerung gefeiert wurde. Genau hier wurzele das für Camus prägende paradoxe Glück einer tragischen Existenzerfahrung.
Auf packende Weise beschreibt Iris Radisch in der Folge, wie die Schule für Albert Camus zum „Nadelöhr in das Reich der Gebildeten“ und sein Lehrer Lois German zum entscheidenden Förderer wird. Und zu dieser Zeit werden auch die endlosen Sonnentage am Meer für Camus zum Urbild des Glücks und zum Quell seines später noch von Nietzsche und Spengler grundierten mittelmeerischen Denkens. Dieses zieht sich, wie Radisch mit vielen Beispielen belegt, quer durch das literarisch-philosophische Werk Camus, das sich durchflutet zeigt vom Licht und elektrisiert von der Hitze des Mittags, vom Meer, der Stille und dem Staub.
Zunächst stößt Camus aber noch zur Jeunesse doreé Algiers, genießt das für ihn neue süße Leben und deklamiert dandyhaft Gedichte von Baudelaire. Im gleichen Atemzug mit seiner großbürgerlichen Heirat tritt er in die Kommunistische Partei ein und nimmt einen journalistischen Weg. Er lernt einen schnellen und harten urbanen Schreibstil kennen und macht mit einer sozialkritischen Reportage über die Berber im Stile des erst später aufkommenden „New Journalism“ auf sich aufmerksam.
1940 siedelt Camus schließlich nach Paris über, wo er sich, wie Radisch unterstreicht, zeitlebens fremd fühlen soll. Hier entsteht dann auch „Der Fremde“ als „Schlüsselwerk der europäischen Literatur“ und als „Schlüssel zum Leben des Verfassers“ und seinem Entfremdungsgefühl. Hier wie im „Mythos des Sisyphos“ liegt das Glück in der größten Hoffnungslosigkeit und einem bedingungslosen „amor fati“, das in dem Satz gipfelt: „Wir müssen uns Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.“ In diesen Jahren manifestiert sich das berühmte Camussche „Absurde“ als Grundbedingung des Seins – resultierend aus den bohrenden existenziellen Fragen des Menschen, die immer wieder nur auf das Schweigen der Welt treffen.
„Ideal der Einfachheit“
Der philosophisch-literarische Fatalismus Camus relativiert sich in den Jahren der Besatzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten, die er selbst zwischen Literaturboheme und Widerstand verbringt. Während „Die Pest“ schon den Willen zum Widerstand trotz eines unentrinnbaren Verhängnisses ausdrückt, wird schließlich der „Mensch in der Revolte“ sichtbar. Hier leistet Camus eine groß angelegte Kritik der abendländischen Vernunft und erteilt der Gewalt im Namen der Geschichte eine bedingungslose Absage – mit der Folge einer vernichtenden Kritik Sartres, der sich die allermeisten Pariser Intellektuellen anschlossen. Doch die Geschichte, so Radisch, habe „Sartre Unrecht gegeben. Und Camus in allem bestätigt.“ Dies gelte auch für seine schon fast visionäre Wachstumskritik und auch im Hinblick auf sein Eintreten für ein vereinigtes Europa.
Die Verleihung des Literaturnobelpreises 1957 fällt dann mit einer schweren Schaffenskrise von Albert Camus zusammen, der zunehmend von den Widersprüchen seines Lebens zerrissen zu werden droht. Er zieht sich in das provencalische Lourmarin zurück, wo er an seiner posthum erschienenen Autobiografie „Der erste Mensch“ arbeitet. Am 4. Januar 1960 kommt er bei einem Autounfall ums Leben.
Auf emphatische Weise zeigt Iris Radisch in ihrer kurzweiligen Biografie Albert Camus als einen Menschen, der leben wollte, was er schreibt, und schreiben wollte, was er lebt. Im Zentrum seines Werkes verortet sie ein „Ideal der Einfachheit“ und ein sehnsüchtiges „Sonnendenken“. In diesem Sinne hebt sie auch weniger den Literaturboheme aus dem Quartier Latin mit seinen zeitgenössischen intellektuellen Diskursen als vielmehr den algerischen und mittelmeerischen Schriftsteller und Denker Albert Camus hervor.
Karsten Herrmann
Iris Radisch: Camus. Das Ideal der Einfachheit. Eine Biografie. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013. 352 Seiten. 19,95 Euro.