Wird gerettet, was wir lieben?
Hinter dem Pseudonym J.M. Calder verbergen sich die beiden australischen Autoren John Clanchy und Mark Henshaw, die nach ihrem gemeinsamen Erstling If God Sleeps, nun einen „Bestseller“ geschrieben haben. Ob das gut geht? Nadja Israel ist sich da nicht so sicher
Der zerbrechliche Held mit dem Namen Glass ist in diesem Roman genretypisch rau, einsam, stur, intelligent und nahezu organisch mit der Stadt und seinem Auto verwoben. Der hartgesottene Großstadtpolizist, mit freundlichem Gruß von Raymond Chandler, trifft auf einen der zahlreichen Erben Hannibal Lecters.
Die Autoren der neueren Generation müssen sich einiges einfallen lassen, um der Sehnsucht nach klassisch männlichem Heldentum erzähltechnisch und inhaltlich nachzukommen. Der phänomenale Siegeszug der Alphaweibchen in diesem Genre hat die schreibenden Männer verunsichert, und so muss Lieutenant Salomon Glass engelsgleiche Kinder und ihre gebeutelten, missbrauchten und etwas aus der Mode gekommenen archetypischen Mütter retten. Einzig und allein die uneigennützige Aufgabe, unschuldige Kinder zu schützen, gestattet es Clanchy und Henshaw offenbar noch, harte und ehrliche Kerle zu entwerfen, die heroisch und völlig unironisch für das Gute einstehen.
Er ist einfach nicht totzukriegen, der Ermittler als pater familias.
Stümmeln und Stoppeln
Ein Serientäter geht um. Er entführt ohne erkennbare Muster kleine Kinder, verstümmelt sie und sendet den verzweifelten Müttern jeweilige Körperteile mit dem Angebot: Bringt sich die Mutter zur angegebenen Zeit um, kommt das traumatisierte und verstümmelte Kind wieder frei, wenn nicht, wird es getötet.
Ich töte was du liebst, so die deutsche Übersetzung des Titels And Hope to Die, ist ein solide aufgebauter Psychokrimi. Der Leser folgt vorerst Glass und seinem Team in einem gängigen police procedural, der klassischen Krimimanier. Diese entwirren ihre clues und red herrings in einem Wettlauf gegen die Zeit, um die entführte Tochter eines sehr reichen und einflussreichen Unternehmers zu retten. Doch bald wird den Ermittelnden klar, dass die althergebrachten, detektivischen Methoden, die sich noch auf ein Verbrechen aus zweckrationalen Gründen beziehen, nicht ausreichen. Es ergibt sich kein erkennbares und zu entschlüsselndes Handlungsmuster des Täters – und an dieser Stelle wandelt sich der „Kriminalroman“ zu einem „Thriller“. Aus dem Rätsel wird eine Hetzjagd und Glass hat es mit nichts geringerem als dem pathologischen Bösen an sich zutun: Dem Willen zur Macht und höchstmöglicher Grausamkeit.
In dem vorliegenden Pageturner wird unregelmäßig und gießkannenartig Psychovokabular und altklug Moralisches über dem Leser ausgeschüttet: Thomas von Aquin, Kant, Carl Gustav Jung, Hannah Arendt, Proust und die Göttin Kali versprechen Moral. Leider liest sich das eher wie eine schlaffe Verbeugung an Generation-Wiki und ist dabei peinlich allwissend. Mit dem Holzhammer wird äußerst fragwürdig psychologisch aufgeklärt, archaische Grundmuster werden zitiert, um daraufhin gleich wieder unreflektiert über die Handlung bestätigt zu werden. Frauen mit „sahnig heller Haut“ wollen dabei über Beziehungen sprechen und Männer als emotionale Barbaren wollen verantwortungsfreien Sex. Die zu rettende Familie ist unrettbar disfunktional, die Welt dunkel und nur die Kinder wahrhaft unschuldig.
Natürlich muss der Ritter der Großstadt hier eingreifen, um die Fragen der Ethik und Zuständigkeitsgrenzen durch Überschreitung derselben zu verhandeln. Wie immer!
Im glauserschen Sinne fuselspannend ist das alles aber durchaus und wenn man – wie die Rezensentin – etwas dafür übrig hat, lässt sich dieser Roman in kürzester Zeit konsumieren. Wie nach einem guten Hamburger fühlt sich der geneigte Leser danach satt und zufrieden oder überfressen und schlecht.
Nadja Israel
J.M. Calder: Ich töte was du liebst (And Hope to Die, 2007). Roman. Deutsch von Anja Schünemann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Tb (2.Aufl.) 2009. 448 Seiten. 8,95 Euro.