Donnergrollen über Texas
von Alexander Roth
Kein Roman führte 2014 so viele Jahresbestenlisten an wie „Regengötter“ (Rain Gods) von James Lee Burke. Mit seinen fast achtzig Jahren gelang dem amerikanischen Autor eine triumphale Rückkehr auf die deutsche Krimilandkarte, von der er sich Anfang der Nullerjahre schleichend zurückgezogen hatte. Eine Erfolgsgeschichte, an dessen Ende der Deutsche Krimipreis in der Kategorie International stand. Nun ist bei Heyne der Nachfolger erschienen. Und auch wenn „Glut und Asche“ (Feast Day of Fools) durchaus eine eigenständige Geschichte erzählt, ist beim dritten Roman um Hackberry Holland die Kenntnis des Vorgängers beinahe unabdinglich. Dass es diese Bücher überhaupt gibt, ist angesichts der vorbelasteten Beziehung zwischen Autor und Figur ein kleines Wunder.
1971 erblickte die Romanfigur Hackberry Holland das Licht der Welt. „Lay Down My Sword and Shield“ erzählt von einer Läuterung, davon, wie der damals noch als Anwalt auftretende Protagonist sich vom saufenden Hurenbock, der an den Fäden der Politik baumelt, zum rechtschaffenen Streiter für die gute Sache wandelt. Die Kritiker zerrissen das Buch derart heftig, dass der bis dato einigermaßen erfolgreiche Burke über eine Dekade lang kein Buch mehr an den Mann bringen konnte. Er hält seitdem mit seinem Roman „The Lost Get-Back Boogie“ den Rekord für die meisten Absagen in der Verlagsgeschichte New Yorks. Nichtsdestotrotz versuchte Burke Ende der 80er Jahre erneut, den Holland Clan zu etablieren. In dem Western „Two for Texas“ erzählt er die Geschichte von Son Holland, der im texanischen Unabhängigkeitskrieg an der Seite von Sam Houston kämpft. Noch bekannter dürfte dessen Enkel Billy Bob Holland sein, der, als bisher einziges Mitglied der Familie, aus dem Stand vier aufeinanderfolgende Bände durchhielt. Und irgendwann führten die verschlungenen Pfade des Holland-Stammbaums den Autor zu dessen literarischem Ursprung zurück: Hackberry. Vielleicht war es aber auch der unerschütterliche Glaube an eine Figur, den selbst die Erinnerungen an eine dunkle Zeit voller Entbehrungen nicht einfach so auslöschen konnten.
Vergangenheitsbewältigung und Zukunftstechnologie
In der Gegenwart muss sich Hackberry, der inzwischen Sherriff geworden ist, mit einem Mord herumschlagen. Danny Boy Lorca, ein stadtbekannter Säufer, berichtet, wie ein paar Mexikaner vor seiner Augen einen Mann zu Tode folterten, während ein anderer ihnen glücklicherweise entkommen konnte. Hackberry glaubt ihm und beginnt Staub aufzuwirbeln. Ehe er sich versieht wimmelt es in seinem Revier plötzlich von rassistischen Predigern, schmierigen Politikern, schwer bewaffneten Söldnern und seinen Lieblingskollegen von der Bundesbehörde. Denn der Mann, der den Killern entfliehen konnte, ist nicht irgendein unbescholtener Bürger. Es handelt sich um einen Mitarbeiter der Regierung, der die hochbrisanten Pläne einer Kampfdrohne im Gepäck hat. Logisch, dass das FBI die örtliche Polizei ungern an den Ermittlungen teilhaben lassen möchte. Wieder will man Hackberry also seinen Fall wegnehmen, und wieder verweigert der sture Sherriff jegliche Kooperation, Autorität hin oder her. Als dann auch noch herauskommt, wer dem Flüchtling Unterschlupf gewährt – Leser von „Regengötter“ dürfen sich auf ein Wiedersehen gefasst machen – ist die Sache klar. Er muss diese tickende Zeitbombe unbedingt vor allen anderen in die Finger bekommen.
Schon immer geht es James Lee Burke in seinen Werken vor allem darum, den Zustand der amerikanischen Seele auszuloten. Seine Figuren treten als fleischgewordene Mahnung auf, sie sind nicht verheilende Wunden im kollektiven Gedächtnis, das viel zu schnell vergisst. In „Glut und Asche“ werden daher nicht nur erneut die traumatischen Ereignisse des Korea-Krieges den staubigen Geschichtsbüchern entrissen, sondern auch aktuelle Themen, wie beispielsweise die Folgen von 9/11, die Bedeutung der Drohnen-Technologie für die moderne Kriegsführung und die humanitäre Katastrophe im amerikanisch-mexikanischen Grenzland, verhandelt. Mit der Figur des Noie Barnum hat Burke darüber hinaus einen Whistleblower erschaffen, der in Zeiten der Snowden-Verehrung nicht kontroverser sein könnte. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die Politik und Zeitgeschehen in ihre Werke einfließen lassen, macht Burke es seinen Lesern niemals einfach. Kaum glaubt man zu wissen, welche Meinung man zu einer bestimmten Figur, zu einer bestimmten Szene im Roman hat, zeigt er mithilfe seiner ambivalenten Charaktere die Schwächen unserer zur Dichotomie neigenden Weltsicht auf: Sie hält der Realität nicht stand. Nicht einmal der erfundenen.
Im Zorn verschmolzen
Alles hängt zusammen. „Glut und Asche“ zieht einen Rattenschwanz von Kausalkette hinter sich her, der in Sachen Komplexität und erbarmungsloser Konsequenz seinesgleichen sucht. Burkes Figuren müssen sich mit den Folgen von Ereignissen herumschlagen, deren Anfänge tief in der DNA des Landes verborgen liegen. Sie taumeln durch apokalyptische Landschaften und steuern dabei derart zielstrebig aufeinander zu, als stünde irgendwo ein riesiger Magnet. Wenn Burke die Einzelschicksale dann mit einem großen Knall kollidieren lässt, kann man regelrecht die Dominosteine fallen hören – und den darauffolgenden Donner. Den Motor des Romans bildet allerdings die Wut des Protagonisten. Dass es unter dem Stetson von Sherriff Hackberry Holland brodelt, war schon in „Regengötter“ unschwer zu erkennen. Diesmal lässt er jedoch alle Reserviertheit fahren und mutiert vom über den Dingen stehenden John Wayne zum innerlich zerrissenen Clint Eastwood. Die ruhige Fassade bröckelt von Erschütterung zu Erschütterung zunehmend weg. Darunter kommt ein Mann zum Vorschein, der, wie sein Bruder im Geiste Dave Robicheaux, vom Zorn der Gerechten übermannt wird. Womit wir auch schon bei einem der wenigen Kritikpunkte wären.
Robicheaux und Holland sind sich, nimmt man dieses Buch zur Grundlage eines Vergleichs, schlicht zu ähnlich. Beide agieren gleich, legen ihren Taten das gleiche Menschenbild zugrunde und fühlen sich zum gleichen Typ Frau hingezogen. Während Holland in „Regengötter“ sich noch deutlich von der Figur unterschied, die Burke weltberühmt machte, scheinen ihm gegen Ende von „Glut und Asche“ nur noch Wohnsitz, Alter und Hut als Alleinstellungsmerkmale zu bleiben. Das liegt vor allem an der Überbetonung eines ganz bestimmten Körperteils, dem der Autor generell viel zu viel Bedeutung beimisst – des Zeigefingers. Immer wieder lässt Burke seinen Protagonisten an teilweise völlig unpassenden Stellen über die Verderbtheit der Menschen sinnieren. Laut, undifferenziert, manchmal an der Grenze zum Slapstick. Jemand, der scheinbar am Fließband dreidimensionale Charakter und plastische Schauplätze entwirft, sollte seine Weltanschauung eigentlich auch vermitteln können, ohne permanent in den inneren Monolog flüchten zu müssen. Man fragt sich, ob dieser virtuose Schriftsteller tatsächlich an der Qualität seiner Bilder zweifelt, oder nur an der Kompetenz seiner Leser, diese in seinem Sinne zu entschlüsseln. Show, don’t tell, James! Wir verstehen dann schon, was du uns sagen willst.
Der Siegeszug hält an
Jetzt aber mal zu den guten Nachrichten. James Lee Burke beweist im dritten Hackberry-Holland-Roman, dass er seinem Alterswerk längst noch nicht die Krone aufgesetzt hat. Mit „Glut und Asche“ ist ihm erneut ein intensiver Neo-Western gelungen, der den Vorgänger noch einmal übertrifft und daher mit Sicherheit wieder einige Jahresbestenlisten anführen dürfte. Zornig wie zuletzt in „Sturm über New Orleans“ (The Tin Roof Blowdown) fegt Burke über die Krimiszene hinweg und festigt eindrucksvoll seinen Ruf als einer der ganz großen Autoren unserer Zeit. Wer die Lektüre bereits beendet hat und schon unter Entzugserscheinungen leidet, den kann ich beruhigen: Auch 2016 ist der Holland Clan wieder mit von der Partie: Schon in wenigen Tagen erscheint mit „House of the Rising Sun“ der vierte Teil der Hackberry-Holland-Reihe im Original. Dieser wird sich allerdings nicht mit Hackberry Holland dem Älteren, Hackberry Hollands Vater, auseinandersetzen – Verwirrung vorprogrammiert. Bei Heyne überbrückt man bis zur Übersetzung mit einem anderen Familienmitglied, Wheldon Holland, der sich in „Fremdes Land“ (Wayfaring Stranger) auf die Spuren von Bonnie und Clyde und in die moralischen Untiefen des Ölgeschäfts begibt. Der Edel Verlag hält währenddessen für die Besitzer elektronischer Lesegeräte einige der vergriffenen Robicheaux-Bücher bereit. Aber wie ich an andere Stelle bereits schrieb: Letztendlich ist es egal, mit welchem Buch oder welcher Figur man seine Eintrittskarte in den Burkschen Komsos löst. Es erwarten einen schlicht ein paar der besten Werke, die das Genre zu bieten hat.
Alexander Roth