Geschrieben am 24. August 2011 von für Bücher, Litmag

Jan Brandt: Gegen die Welt

Schräge Ostfriesland-Saga

– Provinzromane haben derzeit Hochkonjunktur bei jungen deutschen Schriftstellern und laufen der glamourösen Hauptstadt- und Metropolenliteratur zunehmend den Rang ab. In seinem voluminösen Debüt führt uns so auch Jan Brandt in die ostfriesische Pampa und liefert uns ein schräges naturalistisches Sittengemälde mit einem Schuss Science Fiction und bedrohlichen Verschwörungstheorien.

Brandt lässt seinen Roman in einem fiktiven Ort namens „Jericho“ spielen und lässt damit zugleich die biblische Geschichte wie auch Uwe Johnsons (mit einem „w“ am Ende geschriebenen) literarischen Schauplatz seines magnum opus „Jahrestage“ anklingen. Das ostfriesische Jericho ist ein dank dem Tourismus aufstrebendes Dorf nahe der Nordsee-Küste. Hier wächst in den Siebzigern, als noch die Tiefflieger über das platte Land donnern, Daniel Kuper auf. Der Spross einer alteingesessenen Drogisten-Dynastie ist ein schmächtiger, zurückhaltender und etwas unbeholfener Typ mit viel Fantasie und einer Vorliebe für Perry-Rhodan-Romane. Eines Tages wird er schwer verletzt inmitten eines Kornkreises aufgefunden und erlangt bundesweit Berühmtheit als der von Außerirdischen entführte und wieder frei gelassene Junge aus Ostfriesland. Später, als ein rechtsgerichteter  Bauunternehmer sich aufmacht Bürgermeister von Jericho zu werden, tauchen überall im Dorf nachts gespenstisch leuchtende Hakenkreuze auf und es beginnt eine Hexenjagd auf den vermeintlich verantwortlichen Daniel Kuper.

In der Zwischenzeit spielt sich der ganz normale Alltagswahnsinn in dem kleinen Dorf mit seinen von schmucken Vorgärten und Lebensbaum-Hecken gesäumten Einfamilien- und neuen Reihenhäusern im „Komponistenviertel“ ab: blitzblank geputzte Opel Rekords, Bundesliga aus dem Autoradio, Grillfeste, Seitensprünge, Gottesdienste und ein Wettbüro im Gemeindehaus. Den Sound zum Leben in Jericho liefert das monotone Rauschen und Rattern der endlos gen Norden und Süden am Dorf vorbeiziehenden Güterzüge. Mit viel Alkohol, Drogen, frisierten Mopeds und Rockmusik rebellieren die pubertierenden Jungs im Dorf gegen diese enge Welt mit ihrem ewig gleichen Trott, während 1989 am fernen Horizont fast unbemerkt die Mauer fällt. Resignierend muss Daniel, der sich immer tiefer in seinem stummen Aufbegehren verstrickt,  feststellen: „Das Dorf war überall. Er müsste schon sehr weit laufen, sehr weit fahren, um zu entkommen.“

Anarchisch ausufernde Romanlandschaft

Schließlich halten Tod, Wahnsinn und Paranoia Einzug unter Jerichos Jugend: Daniel wird vom Pastor verflucht, der gemobbte Peter Peters stirbt auf den Bahngeleisen, Rainer bei einem Autounfall, Onno inszeniert einen bizzaren Abgang auf einem Rockkonzert und der geniale Mathematiker Stefan sucht besessen nach der Weltformel und versinkt in einer das Buch rahmenden Verschwörungstheorie.

Jan Brandt fährt in seinem Roman eine ungeheure Bandbreite von Themen und Personen auf und vermisst das alltägliche Leben in der Provinz bis in das kleinste Detail. Es geht dabei um Freundschaft, Mobbing, Verrat und auch um eine stille, überraschende Liebe.

„Gegen die Welt“ ist eine anarchisch ausufernde Romanlandschaft mit verschiedensten Erzählsträngen, Subgeschichten, Perspektiven und Textsorten. Sie bietet dabei ebenso neue und berauschende wie eintönig dahinziehende Landstriche, in denen der Leser zuweilen droht Orientierung und Interesse zu verlieren. So hinterlässt das ambitionierte Debüt des 1974 in Ostfriesland geborenen Jan Brandt einen zwiespältigen Eindruck und die Erkenntnis, dass das wirkliche Leben nicht immer in Gänze zum Roman taugt.

Karsten Herrmann

Jan Brandt: Gegen die Welt. Dumont Verlag 2011. 930 Seiten. 22,99 Euro. Zur Facebook-Seite des Buches geht’s hier.  Die Webseite des Buches finden Sie hier, eine Leseprobe (PDF) hier. Foto: © Uta Neumann/www.strahler-berlin.de

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