Die Leiden des jungen Brandt
Vor vier Jahren landete Jan Brandt mit seinem monströsen 900-Seiten-Debut „Gegen die Welt“ auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und wurde danach in die Mühlen des Literaturbetriebs katapultiert. In „Tod in Turin“ erzählt er über diese „Zeit des permanenten Ausnahmezustandes“ mit sechzig Lesungen in acht Monaten und insbesondere über den Besuch der Turiner Buchmesse anlässlich der italienischen Übersetzung seines hier als „Gegen den Wind“ oder „Gegen den Witz“ ständig selbst verballhornten Erstlings.
Mit sprühender Selbstironie und Witz gibt Jan Brandt in diesem Buch Einblicke in die Mechanismen des Literaturbetriebs, den sich kein Autor heutzutage mehr entziehen kann – und an dem Brandt doch ganz offenbar zumindest augenzwinkernd leidet. Er zeigt sich genervt von seinen kulturbeflissenen Veranstaltern in der Provinz, von den dummen und in einer „Top Ten-Liste“ gesammelten „Killerleserfragen“, die von „Was wollen Sie damit eigentlich sagen?“ über „Arbeiten Sie an etwas Neuem?“ bis zum Anbiedern des eigenen Manuskripts reichen. Genauso genervt ist er von den Fragen der Journalisten, die seinen Roman noch nicht einmal gelesen haben und alle möglichen Fragen stellen, die nichts mit diesem zu tun haben. In diesem Sinne scheint es auch nur konsequent, dass im Verlagsprogramm ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass Jan Brandt zu seinem neuen Buch „für Interviews und Lesungen nicht zur Verfügung steht“. Zugleich sind hier allerdings eine Reihe von Zitaten von der Verlegerin über den Lektor und den Vertrieb bis zur Herstellung angeführt, die zeigen dass Jan Brandt auch seinen Verlag an den Rande des Wahnsinns führte: „keiner ist so schwierig wie er“.
Aber zurück zum Buch und seinem Hauptteil, in dem Jan Brandt von seiner italienischen Reise berichtet und sie mit Zitaten berühmter Vorgänger von Goethe über die Manns bis zu Rolf Dieter Brinkmann einleitet. Er stößt auf ein Turin voller prachtvoller Paläste, Arkaden und Ritterstatuen und auf einen Fiatkomplex, der einen Kosmos für sich darstellt. Akribisch und mit einer Flut von erläuternden Fußnoten gibt Jan Brandt seinen Begegnungen mit Mitarbeiterinnen seines italienischen Verlages, mit anderen Autorinnen und Journalisten sowie mit den erhabenen und banalen Dingen seiner Umgebung wieder – vom Fahrstuhl mit dem Firmenmanifest des Hotels über das Grabtuch Christi bis hin zur Eataly-Feinkost-Filiale. Diese gelicht mit ihrer „humanistischen Erlebnisgastronomie“ einem „begehbaren kulinarischen Bildungsroman“ und scheint als Analogie zum Literaturbetrieb auf. Jan Brandt zeigt aber auch ein Italien, dessen Geistesleben durch Berlusconis Regierungszeiten heruntergekommen und korrumpiert ist und dessen Selbstmordrate aufgrund der Wirtschaftskrise sprunghaft angestiegen ist.
Der anfängliche Witz und Esprit des Buches, die Selbstironisierung von Autor und Literaturbetrieb, weicht in Arkadien so zunehmend einer spröderen Buchhalterprosa und einer kulturpessimistischen Grundstimmung. Am Ende dieser Reisereportage, dieser Pilgerreise und „Fiktion voller Fakten“ will Jan Brandt sich schließlich nur noch selbst entfliehen und imaginiert am Flughafen einen Identitätswechsel: „Ich bin hier. Ich bin weg. Ich bin frei.“
Karsten Herrmann
Jan Brandt: Tod in Turin. Dumont, 2015. 300 Seiten. 19,99 Euro