„Ein irres Ding“
In seinem mittlerweile dritten Kriminalroman gelingt es Jan Costin Wagner einmal mehr, sublime Hochspannung mit literarischer Ambition und existentiellem Tiefgang zu verbinden und damit eine Ausnahmestellung in diesem Genre einzunehmen.
Wie schon den Vorgänger„Eismond“ lässt der abwechselnd in Frankfurt und Finnland lebende deutsche Jungautor seinen neuen Roman auch wieder im finnischen Turku mit den schon vertrauten Ermittlern Joentaa und Ketola spielen. Hier verschwindet 33 Jahre nach einem Mädchenmord an gleicher Stelle und unter ähnlichen Umständen ein weiteres junges Mädchen. Zusammen mit dem gerade in den Ruhestand verabschiedeten Kommissar Ketola, den der alte Fall nie losgelassen hat, macht sich der junge Kimmo Joentaa an die Auflösung des mysteriösen Verschwindens. Er, der den Tod seiner Frau noch nicht verwunden hat, weiß dabei nur allzu genau um den zerfressenden Schmerz nach dem Verlust eines geliebten Menschen.
Jan Costin Wagner erzählt mit einem rotierenden Perspektivenwechsel zwischen Tätern, Ermittlern und den Angehörigen der Opfer. In seiner glasklaren und von einem nordischen Eishauch durchzogenen Prosa zeichnet er mit knappen und eindringlichen Sätzen starke Charaktere mit starken Gefühlen. Zwischen ihnen lässt er in geradezu dostojewskischer Dimension Schuld und Sühne, Verlust und Trauer, Verdrängung und Erinnerung aufeinander prallen: „Er erinnerte sich. Ganz genau erinnert er sich. Jetzt kehrte also alles zurück.“
Schritt für Schritt baut Wagner mit einer ausgeklügelten Komposition eine sublime Hochspannung auf und hat am Ende eine echte Überraschung parat, die die Regeln des Genres auf den Kopf stellt. Dieser Fall ist „Ein irres Ding“, wie Kommissar Joentaa schließlich feststellen muss.
Karsten Herrmann
Jan Costin Wagner: Das Schweigen. Eichborn 2007. 288 Seiten. 19,95 Euro.