Coming-of-Age-Roman mit Migrationshintergrund
Ein wunderbares Romandebüt: Klasse geschrieben, gut geplottet, witzig erzählt, abwechslungsreich gestaltet – und voller Wärme für die gut gemachten, lebendigen Figuren. Von Ulrich Noller
Zu seinem 18. Geburtstag bekommt Zinos von seinen Eltern ein kleines Apartment geschenkt – und die Nachricht, dass die Alten bloß noch zwei Wochen in Hamburg sind. Sie wollen zurückkehren nach Griechenland, woher sie als „Gastarbeiter“ einst kamen. Zinos, der kurz vor dem Abitur steht, ist fortan auf sich allein gestellt; auf seinen Bruder Illias kann er nicht zählen, weil der mit kleinkriminellen Geschäften samt großkotzigem Gehabe und mit Knastaufenthalten voll zu tun hat.
Eigentlich eine coole Sache: mehr oder minder erwachsen, Ruhe vor den nervenden Erzeugern, keine Mietsorgen, eigene Liebeshöhle, das Leben offen und, und, und … doch Zinos versackt, er schmeißt das Abitur, er macht keine Schnitte beim anderen Geschlecht und er hat bald kein Geld mehr. So ist das eben, aus einem nahezu identischen Genpool erwächst bei gleicher soziokultureller Prägung höchst Verschiedenes: hier ein westerwelliger Unternehmer im Bereich urbane Kriminalität, da ein Zauderer mit Ladehemmung und Gewissenskonflikt, irgendwie rotrotgrün.
Wie Zinos sich trotzdem durchschlägt, mal mehr, mal weniger erfolgreich, das erzählt Jasmin Ramadans toller Coming-of-Age-Roman mit Migrationshintergrund auf eine satt-unterhaltsame Weise. Der Hamburger Grieche schuftet bei einem Italiener, verliebt sich in eine Ex-Jugoslawin, bekommt beinahe eine Lehrstelle, landet als Chefkoch im Puff, verzweifelt an einer drogensüchtigen Reicheleutetochter, erholt sich auf einer abgelegenen Kykladeninsel, erlebt eine Episode auf einem Kreuzfahrtschiff, strandet irgendwo in der Karibik uswusf.
Blühender Einfallsreichtum
Mit blühendem Einfallsreichtum erfindet Jasmin Ramadan für „ihren“ Zinos auf seinem letztlich globalen Coming-of-Age-Trip jede Menge Abenteuer und Irrungen und Wirrungen, und am Ende der Erzählung kann dann Fatih Akins Film Soulkitchen beginnen, der die Geschichte „seines“ Zinos weitererzählt. Allerdings wird der Film, der Anfang September mit dem Spezialpreis der Jury bei den Filmfestspielen von Venedig ausgezeichnet wurde, erst Ende des Jahres starten, weshalb gespannten Interessenten erstmal „nur“ der Roman bleibt. Schon klasse, wie verschmitzt dem Kulturbetrieb da vorgeführt wird, auf welch einfache Weise die im Medienverbund bedrängte Kategorie „gedruckte Literatur“ an Relevanz gewinnen kann, wenn nur ein paar schlaue Menschen von außerhalb des Literaturbetriebs ihre Idee durchsetzen können.
Überhaupt, eine lustige Idee, das: Ein Buch zum Film, das dessen Geschichte nicht einfach nur nacherzählt, sondern das Davor in der Geschichte der Hauptfigur erhellt. Und zwar als eigenes und eigenständiges Kunstwerk: Klasse geschrieben, gut geplottet, witzig erzählt, abwechslungsreich gestaltet – und voller Wärme für die gut gemachten, lebendigen Figuren.
Jasmin Ramadan, Mutter Deutsche, Vater Ägypter, lebt in Hamburg, hat dort Germanistik und Philosophie studiert. In welcher Beziehung sie zu Regisseur Fatih Akin steht und wie groß sein Anteil an der Erfindung des Romans ist, ist nicht ganz klar. Eines aber ist sicher: Jasmin Ramadan hat Zukunft, sie ist ein echtes Erzähltalent. Wollen wir mal hoffen, dass sie der Literatur erhalten bleibt.
Ulrich Noller
Jasmin Ramadan: Soul Kitchen. Der Geschichte erster Teil – das Buch vor dem Film.
Blumenbar Verlag 2009. 254 Seiten. 14,90 Euro