Geschrieben am 19. Oktober 2009 von für Bücher, Litmag

Jo Lendle: Mein letzter Versuch die Welt zu retten

Jo Lendle: Mein letzter Versuch die Welt zu rettenAltväterlicher Sound

Im Jahr 1984 fährt eine Gruppe Jugendlicher, getarnt als christlicher Chor, ins Wendland, um dort gegen den Castor-Transport zu demonstrieren. Mitten drin ist der 17 Jahre alte Florian Beutler. Wie alle seine Begleiter trägt er einen Anzug. Seiner ist braun und viel zu klein, doch er wird die gesamte Geschichte lang nichts anderes tragen – und am Ende wird er sogar sein Totenhemd. Von Tina Manske

Denn von Anfang an lässt Jo Lendle seinen Protagonisten aus dem Jenseits erzählen. Florian hat im Wendland sein Leben lassen müssen, und diese Konstellation macht Mein letzter Versuch die Welt zu retten von Anfang an spannend, denn natürlich will man wissen, wie es zu Florians Tod kommen konnte. Leider ist dieser Jenseits-Kunstgriff die einzige erzähltechnische Raffinesse, die Lendle für seinen neuen Roman einfällt. Denn die Geschichte um eine Clique, die sich als Weltverbesserer und Öko-Aktivisten profilieren will und dabei zwischen die Fronten von Polizei, Fundis und Realos gerät und mitten rein in eine Landbevölkerung, die gar nicht gerettet werden will, hat einen merkwürdig staubigen Ton.

„Am liebsten hätte ich immerzu ‚Was kostet die Welt?‘ gerufen, dabei war mir ja klar, was sie kostete: viel, sehr viel, sie war unbezahlbar. Deshalb waren wir ja hier.“ Und für den Rest gibt es MasterCard, ja ja. Ständig wabert dieser Kalenderspruchton durchs Buch, und natürlich sind auch Florians Freunde längst nicht die Revoluzzer, die sie gerne wären, sondern verwöhnte Mittelstandsbälger. Kann schon sein, dass damals alle Jugendlichen so spießig waren wie diese Gruppe hier – aber will man deren Geschichte lesen?

Florian Beutler kriegt wirklich gar nichts auf die Reihe: weder gelingt es ihm, seine Freundin mit Spitznamen Antonia ins Bett zu kriegen, noch darf er jemals den Helden so spielen, wie er sich’s in seinen schönsten Wendland-Träumen erhofft – ja, noch nicht mal einen einzigen Schluck zu trinken kann er in den letzten Tagen seines Lebens ergattern. Anders aber als bei anderen Losern empfindet man für Florian keine Empathie, sondern nur Unverständnis für seine Apathie. Er wartet ab, bis ihm Dinge passieren, um sie dann langatmig gedanklich durchzukauen.

Die üblichen Klischees

Wenn man Lendle richtig versteht, dann versucht er mit dem Entwurf eines solchen Protagonisten und einer solchen Clique die Selbstgerechtigkeit der Friedensbewegten von damals zu beleuchten, zu denen er selbst gehörte. Wer sich aber erhofft, durch die Brille von Florian einen Blick zurück ins Leben der Achtziger werfen zu dürfen, der wird leider enttäuscht: Florian sieht gar nichts, weil er viel zu beschäftigt damit ist, sich selbst leid zu tun. Die üblichen Klischees werden natürlich geboten: Antons und Florians Eltern poppen zum Beispiel bei der erstbesten Gelegenheit und rennen danach freizügig in der Wohnung herum, wie richtige 68er das eben machen. Das alles wird erzählt in diesem schwer goutierbaren, altbackenen Jargon, den man vielleicht anschlägt, wenn man vom Himmelsthron auf sein kurzes Leben zurückblickt, das man als Jungfrau verlassen musste.

Und auch für die jetzt wieder aufbrandenden Atomdebatten liefert dieses Buch keinen Stoff, weil Florian keine Stellung bezieht – wie denn auch, von jeglicher Persönlichkeit beraubt wie er ist. „Ein treffsicheres Generationenporträt der heute um die 40-Jährigen, mit großem identifikatorischem Moment“, wie der Verlag meint? Puh, wenn diese ganze Generation so wäre wie Florian, dann gute Nacht, Baby-Boomers. Vielleicht sollte man endlich mal mit dem Generationen-Gequatsche aufhören und wieder von Individuen reden. Und dass Florian am Ende dann auch noch – Entschuldigung, der Spoiler muss sein – als innerdeutscher Grenzverletzer endet (völlig ungeplant, wie es seine Art ist) und somit zum symbolischen deutschen Opferlamm wird, das ist dann doch mehr als ein Tropfen zu viel.Vielleicht hätte Lendle lieber einen lebendigen Essay über seine Erfahrungen als Wendlandbesucher schreiben sollen als eine Person zu schaffen, an der man schnell das Interesse verliert.

Tina Manske

Jo Lendle: Mein letzter Versuch die Welt zu retten. München: DVA 2009. 256 Seiten. 19,95 Euro.