Eine Welt von gestern
So kritisch, oft auch pessimistisch das Buch von Joachim Fest über Italien ist, so veraltet viele seiner Beobachtungen in diesem Land sind – es nimmt einem nicht die Lust am Reisen. Auch deshalb lohnt es sich, „Im Gegenlicht“ zu lesen und nach Italien zu fahren.
An Reiseführern durch der Deutschen angeblich beliebtestes Ferienland Italien mangelt es wahrlich nicht. Und darüberhinaus sind die Aufzeichnungen von Joachim Fest bereits vor gut zwei Jahrzehnten zum ersten Mal veröffentlicht worden. Aber trotzdem verdient es das Buch noch einmal besprochen zu werden. Es ist jetzt von einem anderen Verlag (Rowohlt statt Siedler) noch einmal neu mit einem aktuellen Nachwort in einer sehr edlen Form ediert worden. Und es ist, zumindest in den Kreisen „gebildeter Italien-Reisender“, längst zu einem Bestseller geworden.
„Im Gegenlicht“ scheint so ganz aus den Rahmen der sonstigen Publikationen des langjährigen FAZ-Mitherausgebers, Zeithistorikers und politschen Kommentators zu fallen. Statt Zitaten aus einem Rundschreibens Adolf Hitlers, Zeilen aus den römischen Tagebüchern des Ferdinand Gregorovius. Statt einer Beschreibung der Architektur des „Führer-Bunkers“ ein langes Verweilen an den Tempeln von Agrigent. Statt einer Momentaufnahme aus dem aufgewühlten Berlin der 30er Jahre ein Streifzug durch das beschauliche Positano an der Amalfitanischen Küste in den siebziger, achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. In einem durchaus sympathischen Sinne handelt es sich um ein Buch von gestern. Das Italien, über dessen Schönheit (und Hässlichkeit!) der Autor hier räsoniert, existiert so überhaupt nicht mehr.
Nicht nur sind fast alle seiner berühmten Gesprächspartner (Ungaretti, Moravia, Praz ecc.) längst tot. Auch die Zerstörung ganzer Landstriche, über die sich Fest immer wieder klagend auslässt, hat inzwischen immer größere Dimensionen angenommen.
Nicht einmal zwei Jahrzehnte ist die Reise ‚im Gegenlicht‘ alt und schon erscheinten einem fast alle von Fest erzählten Alltagsepisoden wie aus einer längst vergangenen Zeit. Die einst so folkloristisch erscheinenden Piazzas sind monotoner geworden. Das Fernsehen mit seinen pausenlos propagierten Konsummodellen hat die Menschen noch mehr standardisiert.
Reisen wie es einmal war
Würde Fest seine Reise noch einmal wiederholen und auch Landstriche im Norden Italiens besuchen, dann würden seine Aufzeichnungen wohl noch verweifelter und düsterer ausfallen. Allerdings gibt es auch erfreuliche Entwicklungen, von denen man nichts erfährt, wenn man sich nur mit ‚dem Fest‘ im Gepäck nach Italien aufmacht. In Rom, Neapel oder Palermo wurden inzwischen viele Kulturgüter restauriert, über deren Verfall Fest zum Zeitpunkt seiner Reise nur lamentieren konnte. Museen wurden (wieder-)eröffnet, die jahrzehntelang für den Bildungstouristen unzugänglich waren. Es gibt eine sehr lebendige (jugendliche) Kulturszene, zu denen der altväterliche Fest überhaupt keinen Zugang hatte. Kurz und gut, wer das Italien in der Anfangsdekade des 21. Jahrhunderts kennenlernen will, wird von dem bürgerlichen Cicerone Joachim Fest nur wenig Anregungen bekommen. Und trotzdem ist es ein großer Gewinn, dieses Buch gelesen zu haben. Weil es uns daran erinnert, was es vor dem Massentourismus unserer Tage bedeutet haben mag, in ein fremdes Land zu reisen, sich von der Neugierde auf Unbekanntes treiben zu lassen, sich durch die konzentrierte Wahrnehmung eines architektonischen Details zu bilden. Sehr schön hat das Wolfgang Büscher in seinem Nachwort zur Neuauflage des Buches formuliert: „Man darf noch reisen, man muß es sogar. Und sei es nur, um den Zeiger eine zögernde Stunde anzuhalten. Noch einmal festzuhalten, was dabei ist zu verschwinden, unwiederbringlich.“ So kritisch, oft auch pessimistisch das Buch von Joachim Fest über Italien ist, so veraltet viele seiner Beobachtungen in diesem Land sind – es nimmt einem nicht die Lust am Reisen. Auch deshalb lohnt es sich, „Im Gegenlicht“ zu lesen und nach Italien zu fahren.
Carl Wilhelm Macke
Joachim Fest: Im Gegenlicht. Eine italienische Reise. Rowohlt-Verlag 2004. Gebunden. 415 Seiten. 22,90 Euro. ISBN: 3-498-02092-7