Geschrieben am 4. März 2015 von für Bücher, Litmag

João Ricardo Pedro: Wohin der Wind uns weht

Pedro_WindEin erstaunlicher Debütant

– Wolfram Schütte über João Ricardo Pedros Portugiesische Erzählungen rund um Lebensmomente der Familie Mendes.

Regional-lokale Eigenheiten & historische Anspielungen müssen keine Sperre sein für den Zugang zu einem fremdsprachigen Roman, der sich darauf bezieht. Einige der größten Erzählwerke der Moderne besitzen solche Orts- & Zeitverhaftungen. Denken wir z.B. nur an das Oeuvre Faulkners, an den „Ulysses“ von Joyce oder an Döblins „Berlin Alexanderplatz“.

Der 1973 geborene Portugiese João Ricardo Pedro möchte mit seinem „Wohin der Wind uns weht“ in dieser “literarischen Liga“ mitspielen, obwohl das schmale Erzählwerk voller politischer Anspielungen steckt, die sich auf Portugals jüngere Geschichte beziehen. Sein deutscher Verlag behauptet, der gelernte Ingenieur der Kommunikationsbranche habe sich, arbeitslos geworden, damit „den Traum erfüllt“, ein Schriftsteller zu werden. Aber nicht, wie oft bei uns üblich, um über sein bisheriges eigenes Leben literarisch-realistisch zu reflektieren. Im Lande von Lobo Antunes & Saramago verlangt man sich als konkurrierender Newcomer schriftstellerisch mehr ab.

Vor allem, wenn man, wie Ricardo Pedro, ein vielseitig gebildeter intellektueller Kenner ist. Der späte, nämlich 39jährige literarische Debütant hat der Versuchung nicht widerstehen können, mit seinem ausgreifenden Wissen ebenso zu renommieren wie seiner erstaunlich weitreichenden Lust an unterschiedlichen literarischen Erzählanordnungen & Stilwechseln nachzugeben. Daraus ist ein ebenso eigenwilliges wie prekäres Mixtum Compositum entstanden. An ihm ist auf Anhieb aber seine unbedingte Literarizität zu bewundern – wo sie, weil aufregend & neuartig, gelungen ist; und sein literarisches Misslingen wird man verschmerzen, weil sich da unverkennbar ein großes, mutiges, innovatives Talent anmeldet – wie damals (1979), als der große Antonio Lobo Antunes mit seinem monologischen „Judaskuss“ klein anfing, seiner portugiesischen Gegenwart & Vergangenheit episch ausgreifend in vielen großen Romanen die Leviten zu lesen.

Ricardo Pedro hat Ähnliches im Sinn. Er befestigt sein über drei Generationen reichendes novellistisches Erzählkaleidoskop ebenso diskret wie demonstrativ an einigen historischen Fixpunkten vor allem der portugiesischen Geschichte. Über deren Vergessen im kollektiven Gedächtnis führt der schmale Roman Klage. Und zwar so versteckt, dass man dieser Grundmelodie einer tiefen, „linken“ Trauer kaum gewahr wird. So sehr ist der Autor damit beschäftigt, uns seine selbstbewusste erzählerische Kunstfertigkeit variantenreich vor Augen zu führen & uns gewissermaßen einen abwechslungsreichen Musterkatalog seiner literarischen Möglichkeiten vorzulegen.

Jede Erzählung trägt einen eigenen Titel & ist anekdotisch um einen Lebensmoment der Familie Mendes gruppiert. Augusto, aus einer wohlhabenden Familie Portos stammend, richtet sich in der archaischen Einöde Mittelportugals eine Landarztpraxis ein & heiratet seine pragmatische Haushälterin Laura. Ihr Sohn Antonio wird zweimal in den portugiesischen Kolonialkrieg eingezogen & kommt, von dessen Schrecken traumatisiert, als geistiges Wrack zu seiner Frau & seinem musikalisch hochbegabten Sohn Duarte zurück. Der Klaviervirtuose Duarte rührt keine Tastatur mehr an, nachdem er bemerkt hatte, dass sein malerisch begabter einziger Freund sich selbst befriedigte – während ihm Duarte gerade Beethoven „Les Adieux“-Sonate vorspielte.

Aber diese genealogische Skizzierung der Familie Mendes ist mein nachträgliches Konstrukt. Das Buch selbst wechselt von Erzählung zu Erzählung seine Zeiten, Orte, Personen & Perspektiven – wohin der literarisch bewegte Wind des kaleidoskopierenden Erzählers uns eben weht. Gewalt & Tod sind seine düster-melancholischen Begleitmusiken. Ricardo Pedros literarische Palette reicht von satirischer Ironie bis zu existenzieller Bitterkeit, von humoristischer Anekdotik bis zur Epik eines monumentalisierten häuslichen Alltags. Der Portugiese versucht einen literarischen Spagat zwischen García Márquez & Cortázar. Er arbeitet als literarischer Rhetoriker & Gestiker mit Worten, Sätzen & Unausgesprochenem so virtuos, dass es einem als Leser schwindlig werden kann.

Dabei sind die sprunghaft wechselnden Geschichten geheimnisvoll motivisch miteinander verwoben. Jedoch die „romanhafte“ Konstruktion ist zu fragil, um dem Erzählmosaik eine plausible Sinnstiftung abzugewinnen. Allerdings ist eine ganze Reihe der Erzählungen meisterhaft & unvergesslich durch die von Marianne Gareis glücklich ins Deutsche übertragene Prosa des erstaunlichen Debütanten aus Portugal.

Wolfram Schütte

João Ricardo Pedro: Wohin der Wind uns weht (O Teu Rosto Será o Último, 2012). Roman. Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2014. 229 Seiten. 18,95 Euro.

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