Schmelzlaut deines Verstands
– Ein Gedichtband, der überrascht: Denn bisher kannten wir den schottischen Schriftsteller John Burnside nur als Autor von wuchtigen Romanen. Von Carl Wilhelm Macke
„Glister“ (2009) etwa erzählt von einer erkalteten Gesellschaft und ihre um jeden Funken Hoffnung kämpfenden Kinder. Burnsides Roman über seinen Hass auf den Vater „Lügen über meinen Vater“ erschien vor Kurzem ebenfalls auf Deutsch. Wer alttestamentarische Sprachgewalt liebt, wird Burnside schnell schätzen lernen. Und jetzt gibt der Münchner Hanser Verlag in einer ganz ausgezeichneten Übersetzung von Iain Galbraith – dem wir auch schon Übersetzungen von Michael Hamburger verdanken – einen ersten Lyrikband von Burnside heraus. In englischer Sprache sind bereits mehrere Lyrikbände erschienen, in deutscher Sprache aber waren uns die Gedichte von John Burnside bislang unbekannt.
Eingeleitet wird der Band mit einer Reflexion von Burnside über einen tage-, vor allem nächtelang zehrenden, einen zur Verzweiflung treibenden Kampf, von dem jeder Schreibende ein Lied, ein Klagelied, singen kann. „Wie ich wachst du manchmal/ früh im Dunkeln auf/ und glaubst du bist durch eine innere Landschaft/ meilenweit gefahren/ … Manchmal verweilst du/ tagelang bei einem Wort,/ einem einzig unverseuchten/ hörbaren Tropf; er zittert/ tagelang, Schmelzlaut deines Verstands,/ fällt dann: bloße Benennung, / im Sog der Sprache verblasst.“
Keine verseuchten Wörter
Wenn man die Bücher von Burnside kennt und jetzt auch diesen Lyrikband liest, ahnt man, wie oft er wohl in seinem Leben „früh im Dunkeln aufgewacht ist“ und sich mit einzelnen Wörtern abgekämpft hat, ehe diese den Weg auf das Blatt Papier gefunden haben. Bei ihm gibt es keine Springflut an „verseuchten Wörtern“, keine banalen Ex-und-Hopp-Sätze. Er ist ein großer, starker Geschichtenerzähler, selbst in seinen Gedichten. „Der Hafen der Männer“ ist beispielsweise so ein bilderstarkes Langgedicht, das man am besten laut liest, um es in seiner ganzen Farbigkeit in sich aufzunehmen. Von Männern ist da die Rede, die am Samstag an den Hafenkais ihre Angel auswerfen. „Die Männer nüchtern, nachdenklich, in die Ruhe einer Arbeit eingehüllt,/ die endlich nur ihnen gehört, Herr ihrer selbst/ und ich kann nicht umhin zu denken,/ daß es etwas gibt, das sie weitergeben wollen:/ ein Wissen, das sie nicht ganz zur Sprache bringen können, das aber/ mit jener Gunst zu tun hat, die Stärke/ von Macht unterscheidet.“ Burnside rückt mit diesem Gedicht Männer in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die ohne ihn niemand jemals beachtet hätte, die wissen, was es heißt, „abgewiesen zu werden …“ Gedichte wie dieses werden die Männer im Hafen niemals lesen und vielleicht gerade deshalb fühlt Burnside sich ihnen nahe.
Zentral für den ganzen Band ist das abschließende Langgedicht, das ihm seinen Titel gegeben hat: „Versuch über das Licht“. Eine weit ausholende lyrische Meditation über nichts weniger als das Leben und Sterben, wo alles beginnt und endet mit dem Licht. „Manche sagen, wir dürfen wählen,/ ist der Augenblick gekommen … Ich aber würde die kleine Straße nehmen, draußen/ am See: ein Teichhuhn im Schilf, Morgenröte,/ und niemand hinter mir, der immer wieder ruft:/ geh ins Licht/ Edelgeborener,/ geh ins Licht.“ Und da der Band zweisprachig angelegt ist, folgt auch hier die Originalfassung: „And no-one behind me, calling: again and again,/ go into the light/ nobly-born/ go into the light.“
Carl Wilhelm Macke
John Burnside: Versuch über das Licht. Gedichte. Aus dem Englischen und mit einem Nachwort von Iain Galbraith. München: Carl Hanser Verlag 2011. 138 Seiten. 14,90 Euro. Mehr zu John Burnside finden Sie hier. Zu einer Leseprobe (PDF) geht es hier.