Geschrieben am 20. Mai 2007 von für Bücher, Litmag

Jonathan Lethem: Du liebst mich, du liebst mich nicht

Cool, wild und poetisch

Mit seinem neuen Roman „Du liebst mich, du liebst mich nicht“ legt Jonathan Lethem ein kleines funkelndes Meisterstück vor und unterstreicht einmal mehr seine Stellung als einer der wichtigsten und vielfältigsten amerikanischen Gegenwartsautoren.

Im Zentrum von Lethems typischem Anti-Helden-Kosmos steht Lucinda, die in Los Angeles bei einer als Kunst-Performance aufgezogenen „Nörgel-Hotline“ arbeitet und in einer Independent-Rockband ohne Namen den Bass spielt. Sie und ihre Band-Mitglieder sind „bald dreißig und haben nichts auf die Reihe gekriegt“, schlagen sich durchs Leben und leben für ihre Musik. Lethem stößt in das Herz dieser Musik vor und lässt seine Prosa in ihrem fiebernd vibrierenden Sound mitschwingen: „Der Sound war dynamisch, unheimlich, vorsprachlich. Bass und Schlagzeug wie die Rudimente des Lebens selbst, Behauptung und Widerspruch, und jede Interpretation der Figur eine Abfuhr, bis der Notenschwarm erneut einsetzte.“

Lucindas sich in einem fragilen Gleichgewicht aus Hoffnung und Depression dahinziehendes Leben nimmt eine Wende, als sie bei der Hotline den alternden Nörgler Carl kennen lernt. Er, der komplett „gegen den Strich des Gewöhnlichen“ lebt, durchlöchert die Welt mit abgedrehten Metaphern und zwielichtigen Slogans. Lucinda stürzt sich in eine orgiastische Affäre mit ihm und nutzt zugleich seine oszillierenden Wortkaskaden als Keimzelle für neue Songs ihrer Band: „Innerhalb einer Nacht und eines Tages war ihre Welt in zwei Hälften zerfallen, die unmöglich miteinander in Einklang zu bringen waren.“

Doch nicht nur ihre eigene Welt, sondern auch die der nach einem Auftritt auf einer Avantgarde-Party vor dem Durchbruch stehenden Band zerfällt, als Carl seinen Anspruch auf den Erfolg einfordert. Aber das vermeintliche Ende entpuppt sich als charmanter Neuanfang, und der Hunger nach dem Leben ist noch längst nicht gestillt: „Vielleicht war alles, was bisher geschehen war, bloß eine Art Probe. Ein Demotape. … Jetzt kam, das was zählte.“

Lethems Roman ist cool, wild, poetisch und jagt mit unwiderstehlichem Drive dahin. Auf magische Weise vereint er wie ein Shakespeare-Stück das Leichte und Heitere mit dem Traurigen, Frechen und Exzentrischen. Lakonisch leuchtet dabei hinter der Welt der Oberflächen-Phänomene, hinter „Sex, Drugs & Rock’n’Roll“ immer wieder das wahre Leben in existentieller Tiefe auf.

Karsten Herrmann

Jonathan Lethem: Du liebst mich, du liebst mich nicht. Aus dem Amerikanischen von Michael Zöllner. Tropen Verlag 2007. 250 Seiten. 19,90 Euro.