Geschrieben am 12. Februar 2004 von für Bücher, Litmag

Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet

Die schwarze Materie der Gefühle

Der junge Amerikaner Jonathan Safran Foer legt ein ebenso wagemutiges wie faszinierendes Debüt vor.

Jonathan Safran Foer ist der Shooting-Star und der Hoffnungsträger der jungen amerikanischen Literatur: Annähernd 500.000 Dollar strich der 25jährige für sein in den USA schon 100.000 mal verkauftes Debut ein, das jetzt unter dem Titel „Alles ist erleuchtet“ auch auf Deutsch erschienen ist.
Um es gleich vorweg zu nehmen: „Alles ist erleuchtet“ ist ein verwegener, tief berührender und darüber hinaus auch erstaunlich weiser Roman. Er nimmt seinen Ausgang von einer Reise, die der 20jährige Foer in die Ukraine unternahm, um im kleinen Schetl Trachimbrod eine Frau zu finden, die seinen Großvater vor dem Holocaust gerettet haben soll. Die völlig naiv begonnene Suche führte, wie Foer freimütig resümiert „zu nichts und wieder nichts“ – und bildete eben darum das ideale Sprungbrett für einen Roman voller ausschweifender, exorbitanter Imaginationen.

Tief berührend und erstaunlich weise


Aus dem gleichen Grunde wie kurz zuvor der wirkliche Jonathan Safran Foer kommt dessen gleichnamiger Roman-Held in die Ukraine. Als Reiseführer begleiten ihn auf seiner Suche der junge Alexander, dessen halb blinder und griesgrämiger Großvater sowie die liebestolle Hündin Sammy Davis Jr. Jr. In einem klapprigen Auto startet das skurrile Gespann zu einem Trip in die tiefste ukrainische Provinz und zum Anfang der Welt des Schetls Trachimbrod, dessen Zukunft unerbittlich auf den Holocaust zusteuern sollte.
In dem komplex komponierten und zwischen verschiedenen Zeitebenen pendelnden Roman wechseln sich Reisebericht, Rückblick und Briefe von Alexander an den wieder nach Amerika zurückgekehrten Helden ab. Alexander, der seinen eigenen großmäuligen Angaben zufolge an der Universität schon „im zweiten Jahr Englisch maßlose Leistungen gebracht“ hat, erweist sich dabei als ein erstklassiger Meister in der Verdrehung und Verballhornung der Sprache – sie ist ebenso naiv wie schlitzohrig, ebenso poetisch wie obszön.

Überschäumender Schalk


Jonathan Safran Foer, der in Princeton Literatur und Philosophie studiert hat und bei Joyce Carol Oates das „Creative writing“ von der Pike auf lernte, führt seine Leser auf dieser doppelbödigen Reise durch die tiefsten Täler der Traurigkeit und auf die höchsten Gipfel der Komik – kaum sind die bittersten Tränen getrocknet, da folgen schon wieder ungehemmte Lachanfälle und ungläubigstes Erstaunen ob der furiosen Fantasie dieses jungen Amerikaners. „Als Schriftsteller“, so erläutert Foer das emotionale Wechselbad, „wollte ich die schwarze Materie der Gefühle erkunden, die nicht weniger real oder surreal ist wie die schwarze Materie im Weltraum.“
Foer, der sich selbst als „Jude mit ironischer Distanz zur Religion“ bezeichnet und zu Beginn dieses zweijährigen Roman-Projektes „keine Verbindung oder ein großes Interesse an der Vergangenheit verspürte“, führt seine Leser mit überschäumenden Schalk in die sinnen- und farbenfrohe Welt der jüdischen Mythen, Märchen und Traditionen. Um so gnadenloser bricht die unerbittliche Grausamkeit und Gewalt des Holocaust herein, die fast bis zur Unerträglichkeit in drastischen Szenen geschildert wird. Der Humor scheint dabei die einzige Möglichkeit, zugleich das Leben zu feiern und zu verstehen, „wie wunderbar und schrecklich die Welt ist.“
Jonathan Safran Foer hat mit „Alles ist erleuchtet“ ein mutiges und mitreißendes Debut vorgelegt, in dem sich Fantasie und (erschütternde) Wirklichkeit rauschhaft verzahnen und kontrastieren. Foer selber schlägt, vor sein Buch idealerweise so zu lesen, wie man Musik hört: „You should want to turn up the volume as you read, and up and up, until the neighbors ask you to turn it down, an you reply: „What? I cant‘ hear you! I’m reading!“

Karsten Herrmann

Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet. Kiepenheuer & Witsch, 383 S., 22,90 Euro, ISBN 3462032178