Geschrieben am 20. Juni 2009 von für Bücher, Crimemag

Jörg Juretzka: Alles total groovy hier

Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Alle wahnsinnig geworden, alle Maßstäbe in der Tonne? Ein biederer, mittlerer deutscher Autor wie Horst Eckert wird in der Nähe von Ross Thomas gesehen, Jörg Juretzka in die Gegend von Raymond Chandler gerückt. Hallo? Dabei kann man gerade Juretzka auch mit sinnvollen Gründen für großartig halten. So wie das Jörg von Bilavsky tut …

Ja, es gibt sie noch. Die Kuschel-Reservate für altgewordene und junggebliebene Hippies. Versteckte Buchten in den südlichen Gefilden Europas. Fernab der Zivilisation, wo man nach Herzenslust kiffen, meditieren und vögeln kann. Eigentlich ein Paradies für alle Freaks und Aussteiger. Aber nicht so für den hundertprozentig geerdeten Ruhrpottdetektiv Kristof Kryszinski. Den verschlägt es nämlich nicht ganz freiwillig in eine der sonnenverbranntesten Landstriche Südspaniens. Gemeinsam mit seinem Kifferkumpel Scuzzi soll er dort einen anderen Kumpel ihrer Motorradgang ausfindig machen. Schisser, der mit 180 000 Euro auszog, um „eine Dope-Plantage als Erholungs- und Rückzugsort für alternde Biker“ auszukundschaften. Leider ist er von diesem Trip nie zurückgekehrt. Ist er mit den Moneten durchgebrannt oder hat man ihn für dieses hübsche Sümmchen gelyncht? Fragen über Fragen, die Kryszinksi nur auf einem Höllen-Trip beantworten kann.

Und der fängt für ihn schon auf dem Campingplatz an. Paradise Lodge genannt und von ebenso zugedröhnten wie durchgeknallten Hippies verwaltet, die Kristof und seinem Kumpan nur was zum Rauchen, aber nichts zum Trinken anbieten können. Abgesehen davon, dass ihm „jegliche Zusammenballung von Aussteigern seit jeher suspekt ist“, vermisst er vorerst nichts mehr als ein kühles Pils: aus der Dose, aus der Flasche oder aus dem Zapfhahn. Seine ohnehin schon miese Stimmung sinkt ganz im Gegensatz zur Lufttemperatur auf den absoluten Nullpunkt. Aber es hilft alles nichts, hier haben sie Schisser zum letzten Mal geortet, hier muss er irgendwo sein. Tot oder lebendig.

Abrechnung mit Gutmenschen

Kein Wunder, dass der Schnüffler mit seinem ruppigen Temperament bei den ach so soften Gutmenschen ständig aneckt. Kryszinksi nutzt den Zusammenstoß zweier Welten, um sich mit ebenso großartigem wie groben Witz über die aberwitzigen Sitten und Gebräuche lustig zu machen. Allein schon für dieses bitterböse Hippie-Bashing lohnt sich die kurzweilige Lektüre. Aber es kommt noch besser. Denn hinter der unerträglichen Latzhosen- und Müslifassade entdeckt er ein wahrlich unmenschliches Geheimnis, dessen Entdeckung auch Schisser zum Opfer gefallen sein könnte. In der südlichen Einöde tummeln sich nämlich nicht nur Späthippies, sondern auch Roma und Afrikaner, die die nackte Not in der Heimat im wahrsten Sinne des Wortes an die Strände Spaniens gespült hat. Günstige Bedingungen also für Nepper, Schlepper und Bauernfänger aller Art.

Spätestens mit der eher zufälligen Entdeckung eines illegalen Asylcamps entpuppt sich das vermeintliche Paradies als wahrhafte Hölle auf Erden. Für Kryszinski und Leser hört hier der Spaß endgültig auf. Dafür beginnt endlich die Spannung. Wir werden nicht Zeugen wahnwitziger Hetzjagden zu Land und zu Wasser, sondern bekommen überdies den Beweis dafür geliefert, dass auch die größten Softies knüppelhart sein können. Wie seine unangepasste Titelfigur hält Juretzka partout nichts von political correctness, weder der Rechten noch der Mitte noch der Linken gegenüber. Das Umfeld der Letzteren bekommt von ihm diesmal besonders heftig eine gewatscht. Umso erstaunlicher, dass ausgerechnet der linkslastige Rotbuch Verlag diesen, nunmehr achten Kryszinski-Roman herausgebracht hat. Sehr wahrscheinlich waren Verleger und Lektor vom „Groove“ dieses mit schrägen Sprachwitzen gespickten Krimis sofort betäubt. Juretzkas Sprüche machen süchtig. Alkohol und andere Drogen lässt man dafür gerne stehen.

Jörg von Bilavsky

Jörg Juretzka: Alles total groovy hier. Roman.
Berlin: Rotbuch Verlag 2009. 224 Seiten. 16,90 Euro.