Rotzig & Lustig & Ernst
Jörg Juretzka, 1955 in Mühlheim an der Ruhr geboren, legt mit Rotzig & Rotzig den mittlerweile neunten Roman um den Privatdetektiv Kristof Kryszinski vor. In den vergangenen elf Jahren belegten seine Romane zwei Mal den dritten, und ein Mal den zweiten Platz beim Deutschen Krimipreis. Zudem waren zwei der Titel für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert. Außer Kriminalromanen schreibt Jörg Juretzka noch Kinderbücher und gelegentlich Drehbücher fürs Fernsehen. Haupt- bzw. nebenberuflich versieht der gelernte Zimmermann momentan Autowaschanlagen mit ihrem technisch hochkomplexen Innenleben.
Ein Kauftipp vom Krimibuchhändler unseres Vertrauens, Christian Koch.
In seinem neuesten Auftrag besetzt Kryszinski inkognito die Stelle eines Hausmeisters in einem Mühlheimer Hochhausblock. Die Betreibergesellschaft des Wohnparks Nord will so einer Einbruchserie auf den Grund gehen und ärgerliche Mietkürzungen seitens der Bewohner im Keim ersticken. Bei seinem Einzug fällt Kristofs Vorgänger ihm gleich vor die Füße, dies allerdings aus dem 10. Stock. Der einzige Satz in dessen Abschiedsbrief fordert den Nachfolger auf, ein jugendliches Zwillingspaar im Auge zu behalten. Mit diesen beiden Brüdern hat Kryszinski auch sofort Bekanntschaft geschlossen, als sie einen charmanten Erpressungsversuch bei ihm gestartet haben. Überhaupt sind die Bewohner des Hochhausblocks dankbare und gelungene Kulisse für Jörg Juretzkas Ermittler und den Romanfortgang. Jugendliche Gangster, Prolls, Soziopathen und die übliche Blockwartfraktion halt.
Relativ zügig meint K. K., die Einbruchserie aufgeklärt zu haben. Die jugendlichen Zwillinge sollen es gewesen sein, wen wundert es? Die Taten zwar bestreitend werden die Früchtchen aber trotzdem von ihrer medikamentenabhängigen Mutter getrennt und in eine Pflegefamilie verfrachtet. Aber dann nimmt die ganze Story eine ungewöhnliche Wendung. Vom Stiefvater angefangen über eine eigenartige Dame beim Jugendamt weiter zur luxemburgischen Pflegefamilie – K. K. kommt aus dem Staunen ob der eigenartigen Beziehungen der Beteiligten nicht mehr heraus. Klar ist, hier ist noch gar nichts klar, und so rollt K. K. den Fall jetzt erst recht mit allen Mitteln auf.
Neu und gelungen
Und so ist Rotzig & Rotzig zwar ein gewohnter Kristof-Kryszinski-Roman, aber eben auch nur bis hierher. Denn noch nie hatte ein Kriminalroman von Jörg Juretzka so viele ernste Passagen, noch nie so viel „Schluckmomente“ innerhalb der gewohnten Szenerie aus Dialogwitz, Brachialhumor und absurdesten Figurenzeichnungen. Das ist neu, aber viel wichtiger noch: Es ist sehr gelungen.
Als im Romanverlauf die alten Bekannten und üblichen Verdächtigen wie Scuzzi und Heckenpennes auftauchen, merkt man erst, wie lange man die Bücher von Jörg Juretzka und deren Figuren schon kennt. Wenn man denn mehr als ein Buch von ihm gelesen hat, denn so viel ist klar: Jörg Juretzka ist kein Autor der moderaten Mitte. Man mag sein Werk und seinen Humor total oder man mag es eben gar nicht. Ähnlich wie sauscharfes Essen oder Jazzmusik …
„Ernstes Thema und dabei trotzdem Schreien vor Lachen?“, Jörg Juretzka kann das, und es macht irre viel Spaß, ihn dabei zu begleiten.
Christian Koch
Jörg Juretzka: Rotzig & Rotzig. Roman.
Berlin: Rotbuch 2010. 253 Seiten. 16,95 Euro.
| Jörg Juretzka bei Rotbuch
| Christian Kochs Krimibuchhandlung Hammett
| TITEL-Rezension: Der Willy ist weg
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