Geschrieben am 17. September 2014 von für Bücher, Litmag

José Saramago: Kain

Saramago_KainDer Mensch als lebender Widersprecher

– Wolfram Schütte über José Saramagos letzten vollendeten Roman: „Kain“.

Sein letzter, noch zu seinen Lebzeiten erschienener Roman ist sein kürzester. Der neunzigjährige portugiesische Nobelpreisträger hat sich mit seinem „Kain“ den literarischen Spaß eines Häretikers erlaubt, der auf dem schmalen Gebiet literarischer Religionskritik würdig neben Voltaires „Candide“ steht. Saramagos „Kain“ teilt mit Voltaires “Candide“ die lakonische Zielstrebigkeit des Erzählens & ist wegen seines Witzes ein ebenso großes Lesevergnügen wie die Abenteuer, die Voltaires Held in „der besten aller Welten“ zu bestehen hat, bis er zu der bescheidenen Einsicht gelangt: „il faut cultiver notre jardin“ (wir müssen unseren Garten bestellen).

Nun: Candide war von Voltaire als ein nicht umzubringender Optimist angelegt, buchstäblich als ein Stehaufmännchen in einem literarischen Comic, obwohl sein aufklärerischer Schöpfer ein radikaler Skeptiker war. Saramagos Held (& alter ego) aber ist bis heute als der (Bruder)Mörder Abels im Alten Testament bekannt & berüchtigt. Der Portugiese will ihn rehabilitieren wie der junge Goethe Prometheus gegen Zeus ins Recht setzte. Kain wird in dem Roman des Portugiesen am Ende dafür sorgen, dass es eine Menschheit gar nicht gibt, weil er – als allseits & alle Zeit bereiter Beschäler auf Noahs Arche – dessen drei von ihm schwangeren Schwiegertöchter & des alten Noahs Ehefrau durch die Serialisierung seines Brudermords das Anlanden der Arche Noah jedoch nicht erleben lässt. So geht Gottes Plan, der die erste Menschengeneration in der Sintflut ertränkte & mit Noahs Familie eine zweite Generation ins Leben rufen wollte, nicht auf, bzw. uns als deren spätere Nachfolger, gibt es also gar nicht. Das ist Kains Rache an Gottes Willen.

Während der Spötter Voltaire die Theodizee Leibnizens der Lächerlichkeit preisgab, strengt der portugiesische Atheist in seinem letzten Roman einen erzählerisch weiträumigen Prozess gegen den reichlich eigenwilligen, sadistischen & blutrünstigen Gott des Alten Testamentes an; und zwar im Namen der Gerechtigkeit.

Denn Kain, der Gott mit seinem Opfer ebenso gefällig ist wie sein Bruder Abel, wird ohne für ihn erkennbaren Grund von Gott missachtet, der sein Brand-Opfer verschmäht. Diese grundlose Zurückweisung & Benachteiligung empört ihn ebenso sehr wie Abels hochmütige Sticheleien. Das ist der Grund dafür, dass er den sichtlich bevorzugten Bruder Abel ermordet. Gott, dem Kain die Mitschuld an dem Mord vorwirft, zeichnet den Brudermörder mit einem Mal auf der Stirn – damit alle Welt den seither sprichwörtlichen Mörder, der zwar aus seiner Heimat vertrieben wird, aber weiterleben darf, als Sündenbock erkennen & ausschließen soll.

Saramago, der hier einen essayistischen Angriff als hybride Erzählung vorträgt, lässt seinen Helden, begleitet von dem kommentarfreudigen Erzähler, kreuz & quer durch die alttestamentarischen Geschehnisse ziehen & deren Augenzeuge werden. Man wird aber – was heute nicht mehr im christlichen Abendland an der Tagesordnung ist – einige Bibelfestigkeit mitbringen müssen – um die Polemiken zu verstehen, die der portugiesische Nobelpreisträger hier vorträgt, wenn er seinen Kain z. B. mit Sodom, Hiob, Abraham konfrontiert oder der Erzähler vom Paradies spricht, vom Turmbau zu Babel, den Trompeten von Jericho oder der Arche Noah.

Empörung gegen den Herrn des Alten Testaments

Nachdem Saramago mit dem Roman „Das Evangelium nach Jesus Christus“ sich das Neue Testament auf seine häretische Art anverwandelt hatte, wendet sich seine späteste Empörung gegen den Herrn des Alten Testaments. Das ebenso witzige wie sympathische Paradox seiner Religionskritik besteht darin, dass er das jähzornige, wütende, massenmörderische Schalten & Walten des alttestamentarischen Gottes im Namen mitmenschlicher Hilfsbereitschaft & aufklärerischer Toleranz kritisiert. Selbst der Cherub, der das Paradies bewacht, aus dem Gott das erste Menschenpaar vertrieben hatte, ist so „menschlich“, die beiden hungernden Vertriebenen mit Paradiesfrüchten zu versorgen. Allerdings hat ihn Eva auch mit ihren körperlichen Reizen derart „becirct“, dass er ihr nach dem Busen greift.

Überhaupt versetzt sich der greise Autor voller Lust in sein alter ego Kain, der sich lange & einlässlich mit der mythischen Herrscherin Lilith zu beider Freude sexuell vergnügt – wovon im AT nicht die Rede war. Auch lässt Saramago seinen tollkühnen Kain (und nicht einen von Gott im letzten Augenblick geschickten Engel) dem gottesfürchtigen Abraham in den Arm fallen, mit dem der Greis auf Gottes Geheiß seinen eigenen Sohn abschlachten sollte – wie es heute die ISIS mit europäischen Geiseln tut.

Der Gott, mit dem Kain immer wieder heftig streitet – wir verlassen die beiden Streithähne streitend am Ende – ist übrigens keineswegs allwissend & allgegenwärtig; eher kommt & geht er wie ein Herumtreiber, dem Kain immer mal wieder über den Weg läuft – was dem Roman die spielerische Leichtigkeit eines Beckettschen Theaterstücks gibt (etwa des „Godot“), oder das Buch in die szenischen Nähe der Brechtschen „Flüchtlingsgespräche“ rückt. Auf jeden Fall aber rührt das literarische Vergnügen an ihm auch daher.

Nicht einmal wird der bei Saramago auftretende Herr Gott bei seinem hebräischen Namen (wie im AT) genannt: Jahwe. Ich vermute, dass der Portugiese, der ein zorniger Kritiker des Staates Israel & dessen rabiat-militärischem Umgang mit den Palästinensern war, nicht Wasser auf die Mühlen derer leiten wollte, die ihm wegen seiner aktuellen politischen Parteiname Antisemitismus nachsagten. Unverkennbar aber scheint mir, dass Saramago mit dem rund um Joshuas Feldzüge (z.B. gegen Jericho) gruppierten kriegerische Geschehen (bei dem Gott mehrfach die Israeliten auffordert, ihre Feinde mit Stumpf & Stil auszurotten), auf die militärische Überlegenheit des derzeitigen Israel anspielt.

Vor allem Kains Beharren auf den Unschuldigen, die immer wieder gewissermaßen als unbedachter Kollateralschaden bei Jahwes gnadenlosen Zornes- & Vernichtungsausbrüchen (z.B. in Sodom) mit „dranglauben müssen“, markiert Saramagos moralische Kritik an einem Gott, der – wie im Fall Abrahams & Hiobs – nur um die unbedingte Gläubigkeit seiner ergebensten Anhänger zu prüfen, sie sadistischsten Prüfungen aussetzt. Saramago spricht im Namen einer nicht-christlichen Humanität & einer diesseitigen Leiblichkeit. Die totalitären Züge einer Religion & Metaphysik, die menschliches Denken & Fühlen der absurden Allmächtigkeit des Glaubens unterordnet, empfindet er als Skandal. Der quicklebendige Skeptiker rückt ihm mit seinem letzten gelungenen Roman mit Witz & Lust an der List fabulatorisch zu Leibe – wie einst der Spanier Luis Bunuel in seinem Spätwerk „Die Milchstraße“ sich ebenso souverän lachend über die dogmatischen & häretischen Lehren des Katholizismus filmisch lustig machte.

Wolfram Schütte

José Saramago: Kain. Roman. Aus dem Portugiesischen von Karin von Schweder-Schreiner. btb, München 2012. 176 Seiten. 9.99 Euro.

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