Am Ende steht das Ende
– Diplomschriftstellerin. Das ist sie, die gebürtige Bonnerin Juli Zeh. Absolventin des renommierten Deutschen Literaturinstituts in Leipzig und Bestsellerautorin. Schon für ihr Debüt „Adler und Engel“ bekam sie den Deutschen Bücherpreis, nun erschien ihr Psychothriller „Nullzeit“. Sophie Sumburane hat ihn gelesen.
Der Roman ist eher ein Kammerspiel. Wenige Figuren tragen am eigenen Leib politische und juristische Konflikte aus, thematisieren so problematisierend aktuelle Diskurse. Dazu kommt die Konstanz des Handlungsorts und die kurze erzählte Zeit von 14 Tagen.
Mit klarer, nüchterner Sprache erzählt, entspinnt sich vor den Augen des Lesers eine sexuell aufgeladene Dreiecksgeschichte zwischen Sven, Jola und Theo. Sven, der als Jurist vor der deutenden und beurteilenden Welt geflohen ist und nun seit 14 Jahren eine Tauchschule auf einer namenlosen Insel (Lanzarote meinend) betreibt, hält sich sein Motto „raus halten!“ wie ein Schutzschild vor den Körper, erliegt dann aber doch dem perfiden Plan der Schauspielerin Jolanthe Augusta Sophie von der Pahlen, genannt Jola. Ihrer Schönheit ist offenbar schon jeder erlegen, daher nimmt es ihr eigentlicher Lebensgefährte, der halbwegs erfolglose Schriftsteller Theo, auch mehr oder weniger gelassen hin, dass Sven (von ihm liebevoll „riesen Schwanz“ genannt), seine Freundin vögelt.
Der streitet natürlich alles ab, wollte er sich doch raus halten. Außerdem hat auch er eine Freundin, oder eine Klette, kam die gute Seele der Tauchschule Antje doch damals ungefragt einfach mit.
Tauchlehre
Streckenweise wird das Buch eine Tauchschule. Wir lernen, was Nullzeit bedeutet, dass man niemals einen Tauchgang abbrechen sollte: Probleme die unter Wasser entstehen, müssen unter Wasser gelöst werden. Wir lernen, was zu einer vollständigen Ausrüstung gehört und bekommen gleich noch die passenden Fachausdrücke mitgeliefert. Der Regeln liebende Sven findet unter Wasser dennoch die vollkommene Freiheit. Eine Parallelwelt zur anderen Welt, in der er nicht klarkommt. Na schön.
Das SM-liebende, oder das SM-zu-lieben vorgebende Pärchen Jola und Theo haben bei Sven zwei Wochen Tauchschule mit Rundumbetreuung gebucht, Jola will sich auf das Casting für eine Rolle vorbereiten, in der sie „Das Mädchen auf dem Meeresboden“ spielen soll. Ihr Freund foltert sie dabei mit Worten und Schlägen, sie selbst nennt ihn nur „den alten Mann“ und liebt ihn offenbar aber doch, trotz, oder wegen seiner Bösartigkeit, schmiedet im Verlauf des Buches dann aber Auswanderpläne mit Sven.
Wer spricht welche Wahrheit?
Sven erzählt die 14 Tage rückblickend, auf Geheiß seiner Anwältin, um die Schuld von sich selbst abwenden zu können. Die eingestreuten Tagebuchaufzeichnungen von Jola widersprechen seiner Sicht der Dinge allerdings in den entscheidenden Punkten. Der Leser weiß nicht mehr, wer die Wahrheit sagt, ob es überhaupt eine Wahrheit gibt, kann sich nur noch an den beschriebenen Handlungen der Figuren entlanghangeln. Unter anderem auch das führt dann recht rasch dazu, dass man das Interesse an den Figuren verliert. Eigentlich will man es gar nicht mehr wissen, wer jetzt Schuld hat. Ob es eine Schuld gibt. Ob Jola wirklich wegen des Castings tauchen lernen will, oder ob sie nicht doch eigentlich Theo ermorden will.
Alles was man möchte ist, dass endlich einer stirbt – ist ja schließlich ein Thriller –, damit man dann auch zum Ende kommen kann.
Dieses doch vertraute Konzept der divergierenden Berichte und Deutungsmöglichkeiten kennt der versierte Zeh-Leser außerdem schon. Jola und Theo versuchen neben ihren eigenen Spielchen auch Sven durch Verführung, Bedrohung und Bloßstellung fertigzumachen, was von der Handlung doch stark an „Spieltrieb“ erinnert.
Das Buch ebbt schließlich so dahin, es finden sich viele schöne, philosophische Sätze. Ja, Juli Zeh schreibt schöne Sätze, bleibende Sätze, aber die Figuren in „Nullzeit“ wirken bloß ausgedacht.
Es wird schnell klar, dass Jola und Theo einen an der Waffel haben, Theo gibt auch immer wieder Gründe dafür, von denen man aber natürlich auch wieder nicht weiß, ob er sie sich ausgedacht hat. Die Geschichte als Parabel auf Willensfreiheit, Urteilsfindung, Schuld und Macht, die allerdings wie ein Neoprenanzug ihre Figuren einhüllt.
Am Ende steht das Ende. Und das ließ mich enttäuscht zurück, denn dieses Ende hat auch dieses Buch nicht verdient.
Sophie Sumburane
Juli Zeh: Nullzeit
. Roman. 19,99 Euro. 256 Seiten. Frankfurt am Main: Schöffling & Co 2012. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage der Autorin. Zur Webseite von Sophie Sumburane.