Geschrieben am 23. November 2011 von für Bücher, Litmag

Julia Franck: Rücken an Rücken

Alles wollen und nichts können

– Ella, Thomas und Käthe. Das sind die zentralen Figuren in Julia Francks neuem Roman „Rücken an Rücken“. Mit ihnen im Zentrum, in ihrem Universum wird die DDR der 1950er- und 1960er-Jahre beschrieben: als ein Land, das im Großen ALLES sein will, die gelebte Utopie, der Gegenentwurf – und das im Kleinen doch so sehr NICHTS kann, das letztlich alles nichts sein wird. Von Ulrich Noller

Käthe ist Bildhauerin, sie hat sich für ein Leben im Osten entschieden, weil sie mitarbeiten will an der anderen Gesellschaft im anderen Deutschland. Sie hat vier Kinder, die kleinen Zwillinge kommen aber nur am Rand vor, im Fokus stehen Thomas und Ella, die größeren Geschwister. Sie sind sich gegenseitig das Wichtigste, sie leben Rücken an Rücken, ein fast symbiotisches Paar. Sie repräsentieren das Leben, das sich entwickeln kann in diesem anderen Staat. Und ihnen widmet sich die Autorin, indem sie ihr gemeinsames Aufwachsen verfolgt und erzählt.

Jedes Erwachsenwerden ist (in der Literatur) in irgendeiner Weise mit dem Verlust der Unschuld verbunden; bei Ella und Thomas ist dieser Verlust ein Drama, und zwar weil das Politische dieser vermeintlich so utopischen Gesellschaft auf unerträgliche Weise in ihr kleines Privates eindringt. Man kann, so die Botschaft, unter derartigen Umständen nicht leben, ohne traumatisiert und korrumpiert zu werden. Außer man entzieht sich – und das endet in so einer pseudoutopischen Gesellschaft, deren größter Gegner der Entzug in der Privatheit ist, immer in einer Katastrophe …

Schuld sind die geilen, gierigen Männer

Julia Franck ist keine Chronistin der untergegangen DDR, sie rechnet ab, und zwar mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Das geschieht überaus wortgewandt und poetisch, dass man geblendet von derart zur Schau gestellter (und damit auch: ermüdender) Sprachkunst fast übersehen könnte, dass die Geschichte dramaturgisch letztlich reichlich simpel gestrickt ist: Schuld sind die geilen, gierigen Männer, die das System repräsentieren, und die einzige Weise, sich diesem System zu entziehen, ist: keiner zu werden.

Tja, hm. Stimmt schon, „Rücken an Rücken“ ist streckenweise ein tolles, treffendes Buch mit vielen berührenden Momenten. Aber für dieses Anrührende der Geschichte im Kleinen zahlt man bei der Betrachtung des Ganzen einen gewissen Preis: den der Simplifizierung. Immerhin: So wird man einem Erfolgsdruck gerecht – und so entstehen Bestseller.

Ulrich Noller

Julia [[Franck]]: Rücken an Rücken. Frankfurt: S. Fischer Verlag 2011. 384 Seiten. 19,95 Euro. Eine Leseprobe (PDF) finden Sie hier, aktuelle Lesungstermine hier. Eine Dokumentation über Julia Franck finden Sie hier (Youtube), zur Homepage der Autorin geht es hier.

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