Ein Buch wie ein Vulkan
Gleich für sein Romandebüt Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao erhielt der US-Autor Junot Díaz den renommierten Pulitzer-Preis – zu Recht, denn der Sohn eines dominikanischen Einwanderers erweist sich als literarische Urgewalt und erzählerisches Naturtalent, der in diesem Roman auch ein eigenes Stück Geschichte verarbeitet. Von Karsten Herrmann
Diaz erzählt die ebenso amüsante wie tragische Geschichte des Oscar Wao, eines dominikanische Jungen in New Jersey. Ganz im Gegensatz zum klassischen Latino-Macho und –Aufreißer hatte der schwergewichtige Science-Fiction-Fan und Sonderling Oscar seine letzte Freundin mit sieben, denn: „Er war eine Vollniete im Sport, im Domino genauso, grobmotorisch wie ein Klotz und warf wie ein Mädchen. Hatte keinen Sinn für Musik oder Deals oder Tanzen, keinen Biss, keinen Stil, keine Chancen bei Frauen.“ Und doch wird für diesen Oscar, der wie ein Fremdkörper durch seine Umwelt trudelt und in einem eigenen Universum lebt, die Liebe zum Schicksal bis zu seinem tragischen Ende.
Doch Diaz erzählt auf den knapp 400 Seiten noch viel mehr als die Geschichte von Oscar: Changierend in Raum und Zeit erzählt er über ein halbes Jahrhundert hinweg die von gewaltsamen Tod, Unglück und Krankheit, aber auch ungeheurem Lebensmut und Aufstiegswillen geprägte Geschichte einer dominikanischen Familie. Und die Geschichte einer dominikanischen Familie im letzten Jahrhundert ist untrennbar mit der Geschichte des bestialischen Diktators Trujillo im Speziellen, der Geschichte der lateinamerikanischen Diktaturen und der Verstrickung der USA und ihres Geheimdienstes CIA im allgemeinen verbunden. Diese Geschichte erzählt Diaz quasi en passant und pointiert in den Fußnoten seines Romans. Nicht zuletzt ist dieser Roman aber auch ein Roman über das „fukú“- über den Fluch aus der Vodoo-Tradition, der ganze Familien verschlingt.
Diáz schreibt wie ein Vulkan: Übermächtig und farbenprächtig sprudeln die Worte heraus, ergeben einen brodelnden, mitreißenden Strom und einen nie gehörten Sound: Cool, obszön, magisch, sinnlich und tragisch zugleich, gespickt mit spanischen Original-Zitaten und Trash-Elementen – ein Lese-Abenteuer der ganz besonderen Art!
Karsten Herrmann
Junot Díaz: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao (The Brief Wondrous Life of Oscar Wao, 2007).
Aus dem Amerikanischen von Eva Kemper.
S. Fischer 2009. 380 Seiten. 19,95 Euro.