Das gleiche beschissene Leben wie die ganzen anderen Idioten
Mit Witz und Wehmut zeichnet der junge amerikanische Schriftsteller Keith Gessen in seinem Debütroman All die traurigen jungen Dichter das Porträt einer männlichen „Generation X“, die feststeckt zwischen Baum und Borke. Von Karsten Herrmann
Gessens Protagonisten trudeln in einem Zustand des „Nicht mehr“ und des „Noch nicht“ orientierungslos durch ihr Leben und in ein neues Jahrtausend: Vorbei ist die Aufbruchstimmung und der Idealismus der jungen Jahre, noch nicht erreicht ist der Erfolg und mit ihm ein fester Platz im Leben oder auch nur eine Vorstellung davon: „Und ehe wir uns versahen, stolperten wir in den Abgrund, der der Rest unseres Lebens war.“
So träumt Sam von einem „Großen Zionistischen Roman“, führt stattdessen aber lieber Listen mit seinen (zu wenigen) Sex-Affären und verliert sich in den virtuellen Weiten der Internet-Pornographie und des Internet-Datings. Ihm scheint sein Leben zu entgleiten, und alarmierendes Anzeichen dafür ist das „Schrumpfen“ der Treffer beim „Ego-Googlen“. Nicht mehr vorzukommen, das ist seine große Angst und er, der Jude, flüchtet vor sich und seinen unentschiedenen Affären in die besetzten Gebiete Palästinas, um das Unrecht der Israelis am eigenen Leib zu erfahren.
Mark ist ein geschiedener Student im fünften Jahr seiner Doktorarbeit über die Menschiwiki in der russischen Revolution. Voller Selbstzweifel nach dem Scheitern seiner Ehe mit Sasha fragt er sich beständig „Was hätte Lenin getan?“ und laviert sich mit reichlich Alkohol durch das Leben. Das Scheitern der Liebe entpuppt sich als Dreh- und Angelpunkt der sich zunehmend ausweitenden Leerstelle in seinem Leben.
Die traurigen jungen Dichter
Keith Gessen, der auch als Übersetzer arbeitet und gemeinsam mit Benjamin Kunkel die Literaturzeitschrift n+1 herausgibt, stellt in seinem Debütroman sein erzählerisches Talent unter Beweis. Im munteren existenziellen Parlieren und nur loser Verbindung der Handlungsstränge führt er uns durch die kleinen und großen Dramen seiner männlichen Protagonisten und präsentiert uns ihre tagtägliche Nabelschau. Ihnen, die sie sich fast wie ein Ei dem anderen gleichen, sind die Orientierungs- und Ankerpunkte im Leben ebenso abhanden gekommen wie die Leichtigkeit des Seins. Irgendetwas ist schief gegangen beim Übergang von der Jugend zum Erwachsenwerden, geblieben ist nur die in sich selbst drehende und meist glücklose Jagd nach dem nächsten Sex.
Gessen, selbst Jahrgang 1975, zeigt eine Generation junger Männer, die hysterisch bis verzweifelt sucht und nicht ankommt und sich auf allen Ebenen reichlich durcheinander fühlt. Das ist verbunden mit vielen komischen und absurden Momenten, aber auch mit einer großen Trauer und Melancholie. Denn unerbittlich nagt die Angst an seinen Protagonisten, sich genau dort wieder zu finden, wo sie nie hin wollten: „und wenn du dich umschaust, merkst du, dass du das gleiche beschissene, kaputte Leben hast wie die ganzen anderen Idioten.“
Karsten Herrmann
Keith Gessen: All die traurigen jungen Dichter
(All the Sad Young Literary Men, 2009).
Aus dem Englischen von Stephan Kleiner.
Dumont 2009. 285 Seiten. 19,95 Euro.