Keine Nuancen, kein Interesse
Auftragskiller-Romane sind ein eigenartiges Subgenre, das zwischen Jorge Franco und Irene Dische so ziemlich jedes Autorentemperament fasziniert. Allerdings geht das ziemlich oft daneben. Max Annas hat so einen Fall erwischt.
Um eine Wahrheit, gar um eine letzte, geht es überhaupt nicht in dem Auftragskiller-Thriller des britischen Autors Kevin Wignall, dessen vierter von mittlerweile fünf Romanen im Original Who is Conrad Hirst? heißt und als erstes seiner Werke auf Deutsch vorliegt.
Allerdings geht es auch nicht um die Frage, wer Conrad Hirst ist, denn das steht von Anfang bis Ende nie in Frage. Der Protagonist ist mental beschädigt aus den Jugoslawien-Kriegen herausgekommen, in denen er einen zweiten spanischen Bürgerkrieg zu erkennen glaubte. Ab und zu fotografierend wurde er von einem Freund vor Ort für einen Nachfolger Robert Capas gehalten, aber nach einigen blutigen Episoden, in denen er einen anderen Freund und eine junge Liebe verlor, ließ er die Kamera liegen und griff stattdessen zur Waffe, um sich fortan seinen Lebensunterhalt zu verdienen.
So weit die Backstory, die man schon nur unter Mühen zu schlucken bereit ist. Bevor die Handlung beginnt, ist Conrad, dem Auftragskiller, irgendein Missgeschick passiert. Er war in der Schweiz unterwegs, um einen alten Mann zu liquidieren, von dem er vorher noch nie gehört hatte. Aber etwas ist schiefgelaufen, und jetzt will Conrad aussteigen. Er muss nur noch die vier Leute umlegen, die von ihm wissen, dann ist er frei und kann ein Leben leben wie all die anderen Menschen auch.
Wignalls größtes Problem ist sein Protagonist, dessen Wahrnehmung der Welt sehr unentwickelt ist. Ohnehin ist schnell klar, dass seine Rechnung Vier-Morde-bis-zur-Freiheit nicht aufgehen wird, weil er schon wieder ein paar Dinge missverstanden hat.
Keine Sprache
Stets aus Conrads Perspektive erzählt, ist schon die erste Konfrontation mit einem seiner vier Auftraggeber die Begegnung einer wenig interessanten Figur mit einer anderen. Wer dabei draufgeht, ist beim Lesen ziemlich egal. Die unbeteiligte Haltung Conrads manifestiert sich in einer Erzählsprache, der es auch nicht eben um Nuancen geht. Einer der aus dem Weg zu räumenden kommt stets mit der Berufsbezeichnung Verbrecherboss daher. Das stimmt mit dem „crime boss“ im Original durchaus überein, und verweist darauf, dass Übersetzer Teja Schwaner hier keinen handwerklichen Fehler gemacht hat, gibt aber keine weiteren Hinweise darauf, in welchem Milieu sich Conrad Hirst aufgehalten hat. Außerdem, bitte, hört sich Verbrecherboss im Deutschen nun mal an wie die Personenbeschreibung aus einem Brettspiel für Sechsjährige.
Wirklich schwierig aber wird es erst in den Dialogen mit Leuten, die entweder Polizisten oder andere Geheimagenten oder Killer sind. Um jede Spannung aus den Gesprächen zu nehmen, lässt Wignall die vermeintlichen Kontrahenten zuerst fix sagen, dass sie Conrad weder strafverfolgen noch töten wollen.
Weiter geht das dann so, als ein deutscher Polizist Hirst zum Beispiel fragt:
– „Aber was dachten Sie denn, für wen Sie arbeiten?“
– „Um die Wahrheit zu sagen – ich habe überhaupt nicht gedacht, und ich nehme an, dass ich ihnen deswegen auch so gelegen kam. Ich habe geglaubt, ich arbeite für einen deutschen Verbrecherboss, Julius Eberhardt.“
– Antwortet der Bulle: „Ach so. Das ist sehr interessant.“
Wenn er nicht gerade um Worte ringt, legt Conrad Hirst Leute um. Bei vier hört er nicht auf. Er schießt ihnen in Kopf oder Brust oder in Kopf und Brust und ist dabei von einem heimlichen Todeswunsch beseelt, der ihm leider nicht erfüllt wird. Und uns auch nicht.
Max Annas
Kevin Wignall: Die letzte Wahrheit (Who is Conrad Hirst?, 2007). Roman.
Aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner.
München: Heyne 2010. 300 Seiten. 7,95 Euro.