Geschrieben am 12. September 2009 von für Bücher, Crimemag

Klassiker-Check: Richard Stark

Schmutzig

Anlässlich des neuen Parker-Romans Das Geld war schmutzig macht Joachim Feldmann einen kurzen Klassiker-Check: Donald Westlakes alias Richard Starks Parker-Romane und ihre spezifische deutsche Geschichte.

Am 28. Juli 1972 schreibt die in der JVA Essen inhaftierte Gudrun Ensslin an ihre Schwester Christiane. Wie fast immer folgt dem eigentlichen Brieftext eine Bücherwunschliste. Marx/Engels, Walter Benjamin, Brecht: Die Auswahl scheint für die Mitbegründerin einer terroristischen Organisation, die sich „Rote Armee Fraktion“ nennt, zunächst wenig überraschend. Doch dann stutzt man. Unter all den Werken, die im revolutionären Bücherschrank nicht fehlen durften, finden sich auch Märchen (Andersen, 1001 Nacht, Oscar Wilde) und „Kriminalromane von Richard Stark, Goldmanns gelb, glaub’ ich“.

Warum eine linke Intellektuelle, die sich dem bewaffneten Kampf gegen die bundesrepublikanische Gesellschaftsordnung verschrieben hatte, ausgerechnet Romane lesen wollte, in denen immer wieder aufs Neue beschrieben wird, wie ein weitgehend emotionsfreier, von keinerlei Skrupel geplagter Gangster namens Parker Verbrechen als Geschäft betreibt, wird nicht mehr zu ergründen sein. Vielleicht war Gudrun Ensslin von Parkers Amoralität fasziniert, vielleicht erhoffte sie sich professionelle Hinweise. Schließlich waren Banküberfälle die bevorzugte Methode der RAF, ihre „Kriegskasse“ zu füllen.

Ideologisch jedenfalls passt Parker überhaupt nicht zu den linksterroristischen Gruppen, die sich nach 1968 in der Bundesrepublik bildeten, ist er doch der freie Unternehmer par excellence, allerdings einer, den die Regeln des kapitalistischen Wettbewerbs genauso wenig interessieren wie das Strafgesetzbuch. Es ist müßig, aber nicht uninteressant, darüber zu spekulieren, ob ein Mann von Parkers Fähigkeiten nicht erfolgreicher innerhalb des Systems arbeiten könnte. Fraglich bleibt natürlich, ob Richard Stark – unter diesem Pseudonym verfasste der im vergangenen Jahr verstorbene amerikanische Schriftsteller Donald E. Westlake insgesamt 27 Parker-Romane – sich ähnlich produktiv den Abgründen des Finanzkapitalismus hätte widmen wollen. Ein professioneller Straftäter, der gegebenenfalls auch vollkommen leidenschaftslos foltert und mordet, ist als literarische Figur wahrscheinlich reizvoller als ein gerissener Investmentbanker. (Und vielleicht ebenso realistisch: Man denke an die kriminelle Karriere des vor Kurzem gefassten Thomas Wolf, deren Romantauglichkeit in beinahe jedem Pressebericht zum Thema behauptet wurde.)

Parker in Deutschland

Zwischen 1968 und 1972 sind genau dreizehn Parker-Romane in deutscher Übersetzung erschienen, allerdings nicht bei Goldmann, wie Gudrun Ensslin vermutete, sondern Ullstein Krimis. Während Rowohlts Thrillerreihe (unter anderem mit den seit 1968 publizierten gesellschaftskritischen Romanen von Maj Sjöwall und Per Wahlöö) um die Reputation des Krimis im linksintellektuellen Milieu bemüht war, galten die gelben Ullstein-Bände als Lesefutter für die Kunden der Bahnhofsbuchhandlungen. Und waren damit eigentlich der richtige Publikationsort für die ebenso taffen wie lakonischen Spannungsromane des Richard Stark, deren amerikanische Ausgaben schließlich auch als Paperback-Originale bei Pocket Books erschienen waren, und zwar Schlag auf Schlag. Seinen ersten Auftritt hat er 1962 in The Hunter (dt: Jetzt sind wir quitt), 1967 als Point Blank mit Lee Marvin und Angie Dickinson verfilmt, dann folgen bis 1964 drei weitere Romane, in denen sich Parkers Charisma entwickelt. Denn erst das neue Gesicht, zu dem ihm im zweiten Band The Man With the Getaway Face (dt. Parkers Rache) ein plastischer Chirurg verhilft, macht Parker zu dem eiskalten kriminalistischen Profi, der bis heute einen unwiderstehlichen Reiz auf Leser aller Kategorien, unter ihnen ausgewiesene High Brow-Autoren wie John Banville oder Michael Ondaatje, auszuüben scheint. In The Hunter nämlich ist er noch auf Rache aus. Rache an seinem ehemaligen Komplizen und Rache an der Frau, die ihn verraten hat. Stark/Westlake scheut sich nicht, ganz tief in die Pathoskiste zu greifen, um diesen „Jäger“ in all seiner Bedrohlichkeit zu charakterisieren. (Nicht nur, aber auch, weil die deutschsprachige Ausgabe wie alle frühen Parker-Romane seit Jahren vergriffen ist, zitiere ich im Original.)

„The office women looked at him and shivered. They knew he was a bastard, they knew his big hands were born to slap with, they knew his face would never break into a smile when he looked for a woman. They knew what he was, they thanked God for their husbands, and they still shivered. Because they knew how he would fall on a woman in the night. Like a tree.“

Am Ende des Romans lächelt er sogar. Er hat seine Vergangenheit hinter sich gelassen, aber nicht verlernt, was er über gesetzwidrige Methoden, an Geld zu kommen, weiß. „A new face now, and the old pattern. He looked out of the window and smiled.“ Und schon im nächsten Roman The Outfit (dt. Die Gorillas) gelingt es ihm fast spielerisch, ein ganzes Gangstersyndikat matt zu setzen. Und dann etabliert sich das Erfolgsmuster, dem in immer neuen Variationen alle Parker-Romane folgen. Es gibt einen Plan, es gibt eine Crew. Parker arbeitet zwar auf eigene Rechnung, aber fast nie allein. Die „Arbeit“ beginnt. Und dann geht etwas schief. Oft sind es einer oder mehrere Komplizen, die sich nicht an die Abmachungen halten. Oder eigene Pläne verfolgen. Wenn es hart auf hart geht, ist Parker froh, seine Haut zu retten. Meistens jedoch kann er seinen Schnitt machen.

Wahrscheinlich ist es die Virtuosität, mit der Stark/Westlake dieses Muster immer wieder neu und immer wieder verblüffend durchspielt, die ihm den ungeteilten Respekt der Zunft eingetragen hat. Was in den 60er Jahren als billiges Taschenbuch erschien, kommt heute, mit Vorwort, als schickes Paperback in einem renommierten Verlag (University of Chicago Press) heraus.

Die Haltbarkeit eines Musters

Hierzulande allerdings hat es ziemlich lange gedauert, bis wieder ein Verlag auf Parker stieß. In den 80er Jahren erschienen bei Ullstein noch einige Wiederauflagen älterer Titel, darunter Blutiger Mond (Butcher’s Moon), jener Roman, mit dem Parker 1974 in den vorläufigen Ruhestand geschickt wurde. Als er jedoch 1997 sein Comeback, so der Titel des Buches, feierte, fiel das hierzulande kaum jemandem auf. Erst 2007, inzwischen waren bereits sieben neue Parker-Romane erschienen, griff der Zsolnay Verlag zu, ließ Ask the Parrot übersetzen und landete so einen beachtlichen Erfolg.

Nun liegen die letzten drei, in sich zusammenhängenden Abenteuer des Meisterkriminellen in stattlichen schwarzen Paperbacks vor und man kann sie auch in der richtigen Reihenfolge lesen. Das heißt, zuerst Keiner rennt für immer (Nobody Runs Forever), dann Fragen Sie den Papagei und schließlich Das Geld war schmutzig (Dirty Money). In dieser Quasi-Trilogie findet sich all das, was den Reiz der Parker-Romane schon immer ausgemacht hat. Konfrontiert mit einem offenkundig gewissenlosen Radikal-Egoisten zeigen sich die akzeptierte Gesellschaftsordnung und die weitgehend konform mit ihr agierenden Individuen in all ihrer Schwäche. „Der Mensch ist gar nicht gut, drum hau ihm auf den Hut“, heißt es in Brechts Dreigroschenoper. Parker übernimmt diese, für die Betroffenen oft schmerzliche Aufgabe aus ureigenstem Interesse und zu unserem Vergnügen. Moralisch einwandfrei ist das sicherlich nicht. Aber wann wäre Kunst das schon?

Joachim Feldmann

Richard Stark: Das Geld war schmutzig (Dirty Money, 2008). Roman.
Deutsch von Rudolf Hermstein.
Wien: Zsolnay 2009. 253 Seiten. 16,90 Euro.

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