Durchs Butzenfensterchen
– So interessant die Geschichte Gsellmanns und seiner wundersamen Maschine auch ist, SO möchte man sie garantiert nicht erzählt bekommen, findet Tina Manske.
Im Jahr 1958 fährt ein Bauer namens Franz Gsellmann aus der österreichischen Provinz nach Brüssel zur ersten Weltausstellung nach dem Krieg. Die Reise kostet den armen Mann drei Tage Zeit und eine Unmenge Geld, aber er muss sie antreten, denn in der Zeitung hat er das Bild des Wahrzeichens der Ausstellung gesehen: das Atomium. Seit diesem Zeitpunkt weiß er, dass das das Ding ist, nach dem er immer gesucht hat. Er kehrt aus Belgien heim mit einer Miniausgabe des Atomiums, das der Kern der Maschine werden soll, die er in den nächsten acht Jahren bauen wird, abgeschieden von der Welt draußen und seiner Familie, eingeschlossen in seine Werkstatt, in die er bald alles hineinschleppt, was er auf Flohmärkten und bei Schrotthändlern finden kann: Marienfiguren, Glühlampen, große und kleine Zahnräder, einen Christbaumständer, mehrere Ventilatoren, Motoren und Vogelpfeifen usw. usf. Als er die Maschine zum ersten Mal ans Stromnetz anschließt, gehen im ganzen Dorf die Lichter aus, so wie bei Chevy Chase und seiner Weihnachtsbeleuchtung in „Christmas Vacation“.
Aber der Erfinder Gsellmann gibt nicht auf, und 1968 bringt er die Maschine tatsächlich in Gang. Alles dreht sich und quietscht und pfeift wie verrückt, und das ohne Ziel – eine Maschine, deren einzige Bestimmung es ist, wie eine Maschine auszusehen und zu klingen, ohne weitere Verwendungsmöglichkeit. Der Rest ist Geschichte, die Gemeinde Edelsbach, wo die Maschine zu besichtigen ist, kann sich über mangelnden touristischen Zulauf nicht beschweren, und Gsellmann und seine Vision einer Maschine, die etwas Nützliches herstellen soll (von dem er aber bis zuletzt nicht wusste, was das sein sollte), sind bereits in mehreren Texten verewigt worden, allen voran Gerhard Roths Gsellmanns Weltmaschine.
Vertane Chance
Was hätte man aus dieser Geschichte für einen Roman machen können! Doch Klaus Ferentschik hat sich dafür entschieden, keine Einfühlung in den Genius des getriebenen Künstlers zu leisten, sondern sich des behäbigen Geschreibsels eines minderbegabten Lehrmeisters aus dem 19. Jahrhundert zu bedienen, und quält uns also über 150 Seiten mit verquasten Sätzen wie diesen: „Als wäre er soeben geboren worden, und nicht vor etwas mehr als 48 Jahren, als ihn seine Mutter aus ihrem Schoß gepresst hatte“; „Sofern es die Witterungsbedingungen nicht verunmöglichten, gehörte es zu Gsellmanns Gepflogenheiten …“; „Er nickte und drückte mit leiser Stimme allen Respekt aus, der in ihm steckte“ – grässliche Kleinkunstprosa und kein Ende. Nein, so interessant die Geschichte Gsellmanns auch ist, SO möchte man sie garantiert nicht erzählt bekommen. Und was Gsellmann die ganze Zeit antrieb und ihn zum Bau dieser „Wundermaschine“ verleitete, das vermag Ferentschik dem Leser ohnehin nicht nahezubringen. Wie auch, er beobachtet seine Figuren ja immer nur durch romantische Butzenfensterchen.
Ferentschiks Buch ist übrigens der literarische Beitrag zum 50. Jubiläum der Idee dieser Weltmaschine, das in diesem Jahr gefeiert wird. Vielleicht ist es deshalb mit so heißer Nadel gestrickt. Franz Gsellmann aber, dieser kompromisslos-kauzige Visionär mit sympathischem Hang zum Irrsinn, hat etwas Besseres verdient.
Tina Manske
Klaus Ferentschik: Der Weltmaschinenroman. Mit Illustrationen von Horst Hussel und einer Weltmaschinenpostkarte. Matthes & Seitz, Berlin 2008. 160 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag. 17,80 Euro.