
Umtriebig, umstritten und authentisch
… ist Paco Ignacio Tabio II. Mexikos rasantester Schriftsteller ist mal wieder auf Lese- und Diskussionsreise in Deutschland. Vorstellen wird er unter anderem seinen Piratenroman „Die Rückkehr der Tiger von Malaysia“; diskutieren über die mexikanischen Realitäten und neue Literatur aus der Region. Knut Henkel hat ihn in Mexiko City getroffen.
Ungebetenen Besuch mag Paco Ignacio Taibo II gar nicht. Folgerichtig hat er darauf verzichtet, sein Klingelschild mit einem Namen zu versehen, denn wer es wissen muss, weiß auch so, wo der nunmehr 65-jährige stämmige Mann mit dem buschigen Schnauzer lebt. Unter dem glimmt meist eine filterlose Zigarette, und reisen tut der stämmige Mann mit dem Bauchansatz nur ungern und wenn, dann möglichst kurz. Wer Mexikos eigenwilligsten Schriftsteller für mehr als fünf Tage aus seiner Höhle lockt, kann sich schon etwas einbilden, denn Paco Ignacio Taibo II hat immer viel zu tun und zu wenig Zeit. Nicht an einem oder zwei Projekten arbeitet der Historiker und Soziologe parallel, sondern oft sind es mehr als ein halbes Dutzend. „Morgens fällt dann meist die Entscheidung, womit ich mich heute beschäftige“, sagt er schmunzelnd und deutet auf den großen Schreibtisch, wo allerhand Unterlagen auf ihn warten. Material für ein historisches Buch, ein Kriminal- oder Abenteuerroman oder für ein Artikel für eine Tages- oder Gewerkschaftszeitung.

Emilio Salgari (Wikimedia Commons)
„Oft ist es sehr erholsam, von der harten historischen Realität in das Reich der Fiktion auszuweichen und der Fantasie freien Lauf zu lassen“, sagt de agile Mann mit süffisantem Grinsen. Ihm sitzt der Schalk im Nacken und davon zeugen seine Bücher. So wie sein aktueller Piratenroman „Die Rückkehr der Tiger von Malaysia“. Für den hat er sich bei Karl May bedient und sich den katholischen Cowboy Old Shatterhand ausgeborgt.
Der Roman ist eine Verbeugung vor dem italienischen Romancier Emilio Salgari und seinen berühmten Figuren Sandokan und Yanez de Gomara. Die durchpflügen bei Taibo II nun wieder als Freibeuter des 19. Jahrhundert die Meere. An Bord der „Mentirosa“, wie das Segelschiff heißt, welches sich in ein dampfendes Geisterschiff verwandelt, mutieren Salgaris Helden zu den antiimperialistischen Helden aus Taibos Kindheit, die den europäischen Kolonialismus bekämpften. Unbändigen Spaß hat der mexikanisch-spanische Freigeist dabei, seine dichten, meist in der Vergangenheit spielenden Romane zu komponieren. Das ist kaum zu überlesen und davon kann man sich auch in seinem Haus überzeugen. Egal, ob er sich mit dem Pappkameraden Che Guevara im Bücherlager in der Garage in Positur wirft oder ob er am Kaffeetisch im Arbeitszimmer dem Besucher Rede und Antwort steht ‒ kleine Scherze gehören bei Paco Ignacio Taibo II dazu. Dabei lotet der agile Mann peu à peu seine Gegenüber aus.
Malocher für die Bewegung
Allzu lange sollte so ein Gespräch aber nicht dauern, denn der Schöpfer von Héctor Belascoarán Shayne, dem ersten Detektiv, der im Großstadtdschungel von Mexiko-Stadt ermittelt, hat Verpflichtungen. Nicht nur den Lesern gegenüber, die das beachtliche Output des Autors schätzen, sondern auch der Bewegung gegenüber. Für die Bewegung, Mexikos Linke, ist Paco Ignacio Taibo II regelmäßig unterwegs. Er diskutiert zu aktuellen Themen wie der Energiereform der Regierung oder der Bildungsreform gegen die die Lehrer monatelang auf die Straße gingen oder liest auf den „Konferenzen der Straße“ über mexikanische Geschichte. Aus der muss man lernen, so der Historiker und da eignet sich das Beispiel der gescheiterten Revolution von 1910 vortrefflich.
Wie kaum ein anderer hat er sich mit der Revolution beschäftigt, und sie steht auch im Mittelpunkt von „Der Schatten des Schattens“, einem seiner frühen Kriminalromane. Gut zwanzig Jahre nach seinem Erscheinen in Mexiko ist der Band 2010 auf Deutsch erschienen. Für den Autor eine gute Nachricht, denn schließlich zählt das Buch, das zu Beginn der zwanziger Jahre in Mexiko-Stadt spielt, für Fans und Autor zum Besten, was er je geschrieben hat. Dabei stand Taibo II vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen hatte er sich vorgenommen, eine Geschichte mit vier zentralen Figuren zu erzählen, zum anderen sollten die Gründe für das Scheitern der Revolution zentrales Thema im Hintergrund sein. Um diesen Spagat zu bewältigen, hat Taibo II das Buch schlitzohrig im Chaos angelegt, „um die Wolken dann beiseitezuschieben, die das Antlitz der Realität verdunkeln“.
Ausprobieren wollte Taibo II, ob der Roman das erzählen kann, was der Journalismus und die politische Analyse damals nicht aufzeigen konnten – beziehungsweise durften – die Gründe für das Scheitern der Revolution. Dem konspirativen Treiben zwischen mexikanischen Militärs und US-amerikanischen Politikern sowie dem mörderischen Treiben, dies zu kaschieren, kommen die vier Protagonisten in „Der Schatten des Schattens“ auf die Spur. Skurrile Typen – wie sollte es anders sein, denn über einen Mangel an Fantasie kann sich Paco Ignacio Taibo II wahrlich nicht beklagen. Er kombiniert fiktive Passagen und Figuren mit realen Ereignissen und Personen und schickt die Leser auf eine spannende Zeitreise in die Wirren des nachrevolutionären Mexiko.

Autor Paco Ignacio Taibo II (Foto: Quelle Assoziation A)
Der Krimi als Vehikel
Dabei dient der Krimi als Vehikel, um sich in der Geschichte fortzubewegen. Die ist das eigentliche Steckenpferd des studierten Soziologen und Historikers. Taibo II stammt aus politisch-proletarischen Verhältnissen. Als Sohn des Fernsehjournalisten und Autors Paco Ignacio Taibo I kam Francisco Ignacio Taibo Mahojo im Januar 1949 im spanischen Gijón auf die Welt. Seine Mutter stammte aus einer einfachen Arbeiterfamilie. Ihr Vater, ein anarchistischer Gewerkschafter, hatte im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft und war mit einem schwerbewaffneten Fischkutter im Gefecht auf hoher See untergegangen. Seiner Person hat „PIT II“ wie der Autor der Kürze halber auch genannt wird, so manche literarische Aufwartung gemacht.
Auch in „Schatten des Schattens“ darf ein Ausflug in die anarcho-syndikalistische Gewerkschaftswelt der damaligen Zeit nicht fehlen. Ehrensache für Mexikos derzeit wohl kreativsten Schriftsteller. Der hält Distanz zum Staat, arbeitet prinzipientreu für die Sache der Bewegung und schert sich wenig um die literarische Welt Mexikos. Dort wird sein immenser Output eher naserümpfend zur Kenntnis genommen und sein Einfallsreichtum neidvoll registriert. In der fragmentierten mexikanischen Linken ist der Mann mit den listig blinzelnden Augen hingegen ein Star. Grund genug auf das Klingelschild zu verzichten.
Knut Henkel
Paco Ignacio Tabio II: Die Rückkehr der Tiger von Malaysia. Roman. Aus dem Spanischen von Andreas Löhrer. Assoziation A 2012. 294 Seiten. 19,90 Euro. Verlagsinformationen zu Buch und Autor. Termine zur Lesereise. Foto: © Knut Henkel.