Manchmal fallen Gunter Gerlach Bücher in die Hände, die er lieber doch nicht auslesen möchte (Unmögliche Lektüren 1). Warum, das erfahren Sie hier – Heute in den „Unmögliche Lektüren“: Volker Klüpfel/Michael Kobr: Rauhnacht
Wiederholungen für das Gefühl der Geborgenheit
„Du liest schon wieder einen Krimi!“ Es kommt als Vorwurf von Maja.
„Der Buchhändler hat gesagt, dieses Autoren-Duo wäre richtig gut.“
„Seit wann traust du einem Buchhändler?“
Da hat sie natürlich Recht, viele Buchhändler haben sich zu Sklaven der Großverlage entwickelt. Wenn ich bedenke, dass noch vor Kurzem selbst progressive Buchhändler den Sarrazin gleich beim Eingang stapelten. Ganz abgesehen davon, dass die meisten brav tun, was die Verlage vorschlagen: dies Buch dahin und dies dorthin. Wobei ich natürlich nicht weiß, ob die Buchhändler erpresst werden. Vielleicht sagen die Verlage ja, wenn du nicht tust, was wir wollen, kriegst du unsere Bestseller auch nicht.
Ich habe die erste Seite des Krimis „Rauhnacht“ von Volker Klüpfel und Michael Kobr aufgeschlagen.
„Schon der erste Absatz ist ein bisschen aufgeheizt mit Adjektiven“, sage ich. „Obwohl, es geht grad noch. Aber diese Methode von Autoren, im ersten Absatz Stimmung durch übermäßigen Gebrauch von Adjektiven …“
„… und so weiter“, unterbricht mich Maja. „Dafür gab es bei Schulaufsätzen eine Eins.“
„Du zitierst mich.“
„Gib mal her.“ Maja zieht mir das Buch aus der Hand. Sie dreht es um und kichert. „Hast du das auf der Rückseite gelesen?“
„Nein.“
„Der Kommissar wohnt in einem Hotel einem Live-Kriminalspiel bei … wie realistisch! Das machen die Kommissare ja immer wieder. Zum Training. Und jetzt kommt es.“ Sie hält mir den Text hin und zitiert: „… aus dem Spiel wird blutiger Ernst, als ein Hotelgast unfreiwillig das Zeitliche segnet.“ Sie stemmt die Arme und die Hüften. „Eine Floskel nach der anderen.“
„Den Text haben doch die Werbeleute aus dem Verlag gemacht“, versuche ich das Buch zu retten. „Davon wussten die Autoren nichts.“
Maja lacht laut: „Und hier: Die Leiche befindet sich in einem verschlossen Raum …“
„Na ja, Locked Room – kann man doch immer mal wieder machen.“ Wieso verteidige ich jetzt dieses Buch?
„Und das Hotel wird durch einen Schneesturm von der Außenwelt abgeschnitten …“ Sie kreischt laut.
„Ja, ist ja gut, Maja, so was haben wir alles schon mehrfach gelesen.“ Mein Versuch sie zu beruhigen. „Ist doch bloß Unterhaltungsliteratur. Das Publikum liebt Wiederholungen – wie im Fernsehen, da gibt es auch immer wieder dasselbe. Das gibt dem Konsumenten ein Gefühl von Geborgenheit. Es sind die vertrauten Dinge um ihn herum, gilt auch für Ideen und Geschichten in Büchern.“
Maja lässt das Buch von oben herab in meinen Schoß fallen. Was mache ich jetzt damit?
Gunter Gerlach
Volker Klüpfel/Michael Kobr: Rauhnacht. Roman. München: Piper-Verlag 2010. 362 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch mit Trailer. Homepage von Gunter Gerlach