Geschrieben am 6. Juni 2005 von für Bücher, Litmag

Leander Scholz: Fünfzehn falsche Sekunden

Psychotrip ins Leere

In seinem neuen Roman schickt Leander Scholz seine Leser in einen um die Auswüchse der modernen Medizin kreiselnden Psychotrip.

„Go West“ hieß einst das Credo der amerikanischen Pioniere und hundert Jahre später propagierte William S. Burroughs schon das Bewusstein als das letzte neu zu entdeckende Territorium. In seinem neuen Roman „Fünfzehn falsche Sekunden“ zeigt Leander Scholz nun, das dieser neue Westen durch Gen- und Transplantationstechnik sowie Psychopharmaka gnadenlos der Manipulation ausgeliefert ist und selbst der Tod nicht mehr das ist, was er einmal war.

Scholz Protagonistin Celeste lebt für ein Jahr als Austauschstudentin in San Francisco. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Deutschland lernt sie Christopher kennen, der bei einem gemeinsamen Ausflug in die Wüste spurlos verschwindet. Celeste macht sich auf die Suche nach ihm und gerät in einen wahren Albtraum: So ist ihre Wohnung bis auf ein menschliches Gehirn im Kühlschrank komplett leer geräumt und immer wieder entgleitet sie in Ohnmachten, nach denen sich die Realitätsebenen Stück für Stück verschoben zu haben scheinen.

Albtraumhaftes Geschehen

Auf der Folie eines schrecklichen Geheimnisses baut Leander Scholz in „Fünfzehn falsche Sekunden“ gekonnt eine suggestiv-bedrohliche Atmosphäre auf. Als „Brain Movie“ lässt er den Roman aus der Innenperspektive seiner Protagonistin, aus ihren sich assoziativ vermengenden Wahrnehmungen, Gedanken, Träumen und Erinnerungen abspulen. Um sie herum baut sich dabei ein skurriles Figuren-Ensemble auf – ein blinder, monströs dicke Hausverwalter, die Nackt-Friseuse Viola oder der seltsame Dr. Kornweill von „Paradise Engineering“. Ein besondere Blick gilt aber auch immer wieder dem poetisch-surrealen Detail, den kleinen unscheinbaren Dingen, die plötzlich so viel Bedeutung gewinnen und Eigenleben entfalten können.

Leander Scholz entführt seine Leser in ein kafkaeskes Schattenreich, in eine an David Lynchs Filme erinnernde halluzinatorische Bilderwelt. Stück für Stück löst sich bei diesem Psychotrip der Boden der Realität auf – um letztendlich im leeren Raum zu stranden und den Leser mit vielen offenen Fragen zurück zu lassen.

Karsten Herrmann

Leander Scholz: Fünfzehn falsche Sekunden. Hanser, 2004. Gebunden, 265 S., 19,90 Euro. ISBN: 3446205969.