Geschrieben am 16. Februar 2004 von für Bücher

Leonardo Padura: Ein perfektes Leben

Dem Verbrechen und dem Sinn des Lebens auf der Spur

Krimi-Fans und – das sei schon jetzt verraten – nicht nur diese dürfen sich freuen: Mit Teniente Mario Conde bereichert sich die internationale Riege der Verbrechensermittler nun um einen schillernden Kubaner voller Ecken und Kanten – einen heimlichen Moralisten und Säufer, einen sanften Macho und Gourmet und vor allen Dingen natürlich eine exzellente Spürnase.

Der erste Fall von Mario Conde führt uns in das Kuba des Jahres 1989, wo in den sozialistischen Ländern Europas die Grenzen fallen und auch auf der Karibikinsel der Duft des Westens stärker wird. Mit einem ausgewachsenen Kater wird der Teniente aus seinem Neujahrsurlaub gerufen, um das Verschwinden des Industrievizeministers Rafael Morín Rodríguez aufzuklären, der als ein „untadeliger Mann und zuverlässiger Genosse“ gilt und einen kometenhaften Aufstieg hinter sich hat.

Die Büchse der Pandora öffnet sich
Dieser Rodríguez ist ein alter Schulkamerad von Conde und hat dessen ewige Traumfrau Tamara geheiratet, die in diesem Fall ein zwielichtige Rolle zu spielen scheint – und dennoch lässt sich der Teniente von ihr sofort wieder hemmungslos in den Bann schlagen. Die Ermittlungsakte entpuppt sich für ihn als eine Art „Büchse der Pandora“, aus der die Vergangenheit emporsteigt –eine Vergangenheit, in der trotz Schlangestehen, Zensur und Reiseverbot „alles einfach und vollkommen“ und die Zukunft noch ein Versprechen war. Als Hymne dieser frühen 70er Jahre dudelten die „Strawberry Fields“ von einer Raubpressung der Beatles rauf und runter, und der jugendliche Mario schnitt sich die Hosen über den Knien ab, um sie umgekehrt wieder anzunähen: „die einzige Möglichkeit … an eine Hose mit einigermaßen weitem Schlag zu kommen, so wie man sie damals trug.“

Lebenslust und Melancholie
Im Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit zeichnet Padura mit seiner höchst sinnlichen, zuweilen auch derben Prosa ein pralles Bild vom kubanischen Leben jenseits der üblichen Folklore. Denn auch wenn die Lebenslust mit Rum, Havannas, aromatisch duftendem Essen und schönen Frauen immer wieder durchbricht, ist dieses Bild auch von einer tiefen Melancholie getränkt: Denn Ende der 80er haben sich die Verhältnisse geändert, die Jugendträume sind ausgeträumt, Mario ist statt Schriftsteller ein zweifelnder Polizist geworden und sein bester Freund Carlos, der „Dünne“, als Krüppel aus dem angolanischen Bürgerkrieg zurückgekehrt. Auf Kuba sind die sozialistischen Träume ausgeträumt, die Mülltonnen quellen über und die Verbrechensquote steigt. „Ungeheuerlichkeiten sind in Mode“ – das müssen der Teniente und sein junger Partner Manuel Palacíos bei ihren Ermittlungen, die in einen Sumpf aus Korruption und Unterschlagung führen, erschüttert feststellen.

Der „conditio humana“ auf der Spur
Leonardo Padura geht es in „Das perfekte Leben“, dem Auftakt seines „Havanna-Quartetts“, um wesentlich mehr, als um einen spannenden Plot und die Aufklärung eines Verbrechens. Er ist nebenher der „conditio humana“, dem Menschlich-Allzumenschlichen, den kleinen Freuden und großen Sorgen des Alltags – kurz: dem Sinn des Lebens – auf der Spur. Daher lässt er sich auch völlig zu Recht nicht gerne als „Kriminalschriftsteller“ abstempeln: „Wenn ich Kriminalgeschichten schreibe, dann lüge ich, weil es mir um andere Wahrheiten geht, zu denen ich gelangen will.“

Karsten Herrmann

Leonardo Padura: Ein perfektes Leben. Aus dem kub. Spanisch von Hans-Joachim Hartstein. Unionsverlag 2003. Gebunden. 288 Seiten. 18,90 Euro. ISBN 3-293-00315-X