Neue Bücher von Gerhard Seyfried („Schilderguerilla“), Julia Zange („RealitätsGewitter“) und Thomas Spitzer („Goethe, Schiller, Chinakohl“) – vorgestellt von Michael Höfler (MH) und Karsten Herrmann (KH).
Original und Fälschung
(MH) – Schreibt jemand ein Buch über einen Spleen, den er jahrzehntelang gepflegt hat, läuft er gewiss keinem aktuellen Hype hinterher. Pech hat so ein Autor allerdings, wenn das, was vor Jahrzehnten komisch und sogar subversiv war, heute Normalität oder gar Hype ist. Gerhard Seyfried hat einst Schilder-Postkarten manuell nachbearbeitet, um ihnen etwas Besonderes, Hinterfotziges oder einfach schonungslos Ehrliches zu verleihen. Vor einigen Jahren stieg er auf elektronische Bilder und Photoshop um. In Zeiten von tatsächlich manipulierten Schildern, Adbusting und ungezählten Beschriftungsunfällen („Ein Schild sagt mehr als 1000 Worte“, Serie von „Spam“ auf Spiegel online, an die der Untertitel des Buches angelehnt ist) wirken einige seiner Nachbearbeitungen unverdientermaßen bieder.
Dafür darf man mitunter raten, was auf einem Bild wohl manipuliert worden ist, so wenig wundert einen heute vieles. Schöne Beispiele offenbaren Witzes sind eine „Bekanntmachung über eine Unterbrechung der Gasversorgung“ – „durch Putin“, ein gelber Postkasten mit Einwurfschlitz „email-Ersatzverkehr“ und eine dünne Schleimmasse im Glas mit dem Etikett „Instant Monster – Do not add water!“ Mitunter liegt die Qualität auch im Handwerklichen, z.B. wenn die Münchner Frauenkirche einen dritten Turm und die Dresdens eine zweite Kuppel erhält, und man nicht erkennt, was die Fälschung ist.
Insgesamt mag „Schilderguerilla“ als Ansporn an junge Subversionskünstler gelten, so drastisch in die Realität einzugreifen, dass man es in dreißig Jahren noch als Witz erkennt.
Gerhard Seyfried: Schilderguerilla – Ein Schild lügt mehr als 1000 Worte. Westend-Verlag, 2016. 192 Seiten. 14,00 Euro.
Buch der Einsamkeit
(KH) – In ihrem Roman „RealitätsGewitter“, der eher eine etwas längere Kurzgeschichte ist, erzählt Julia Zange eine Coming of Age-Geschichte aus der brodelnden Metropole Berlin in den Zeiten von Sozialen Netzwerken und zunehmender Virtualisierung des Lebens.
Julia Zanges junge Protagonistin Marla torkelt als „Sozialer Schmetterling“ durch das Leben Berlins, streift Clubs und Partys mit Hipstern und Kreativen und trifft sich für gelegentlichen Sex mit dem beziehungsunfähigen Amerikaner Ben. Ansonsten ist sie viel zu Hause, wischt, liked und postet über ihr I-Phone als Schnittstelle zur Welt und fühlt sich traurig, einsam und extrem verwirrt. Sie ist an einem Wendepunkt in ihrem Leben angekommen, einem Leben das bisher in materieller Sicherheit und schulisch erfolgreich verlief und eine unendliche Zahl von Wahlmöglichkeiten bot. Aber jetzt ist etwas „verschwunden und etwas anderes ist aufgetaucht. Das ganz große Versprechen – das gibt es nicht mehr. Es wurde ersetzt durch eine blanke tiefe Traurigkeit.“
Als ihr Vater ihr die monatlichen Zuwendungen streicht, fängt sie als Praktikantin bei einer Modezeitschrift an und schnorrt sich durch ihr Leben. Nach einem desaströs verlaufenden Besuch bei ihren Eltern in der Provinz, bricht sie spontan nach Sylt auf und findet wieder Zugang zu sich und ihrem Leben.
Julia Zange erzählt in ihrem Roman von einem Leben im hybriden Kosmos zwischen Realität und Virtualität. Es ist ein Kosmos der Gefühlskälte und Beziehungsunfähigkeit, der Unentschiedenheit und Verlorenheit. Es ist ein Kosmos, in dem alles möglich zu sein scheint, in dem aber nichts mehr passiert. All das erzählt Julia Zange, die auch als Redakteurin bei verschiedenen Medien arbeitet und gerade ihr Debüt als Hauptdarstellerin in einem Kinofilm gegeben hat, in kurzen knappen Szenen und einer lakonisch-kühlen Prosa aus der die Einsamkeit spricht. „RealitätsGewitter“ ist ein Buch, das Einsamkeit ausstrahlt und den Leser ein wenig frösteln lässt.
Julia Zange: RealitätsGewitter. Aufbau 2016. 158 Seiten. 17,99 Euro.
Grobhumoriges über China
(MH) – Reisebücher, zumal solche mit lustiger Intention, müssen sich zwangsläufig an Christian Y. Schmidts hochkomischem „Allein unter 1,3 Milliarden“ von 2009 messen lassen. Diesen Vergleich vergisst man bei der Lektüre von „Goethe, Schiller, Chinakohl“ allerdings schnell, so weit ist Thomas Spitzers Buch in Sachen Anspruch, Witz und Wortschatz davon entfernt.
Manche Stellen liest man verzweifelt mehrfach, um doch noch eine zweite Lesart, eine tiefere Ebene unter den ebenen Sätzen zu finden: „Ich konnte ja nicht einmal die deutsche Nationalhymne singen. Ich wusste nicht, dass die dritte Strophe verboten war und warum.“ „Länder waren mir generell egal.“ „Was ist das auch für ein Name: Goethe. Das klingt wie eine Mischung auf Tröte und Klöte.“ „Wiederholte ich fünfmal: ficken ficken ficken ficken ficken. Fünfmal tosender Applaus.“ „Keine Frage, dieses Essen würde zweimal brennen. Aber zum Glück hatte ich ja in Guangzhou so viel geschissen, dass es für das nächste Quartal erstmal reichen würde.“ „Wahrscheinlich ist das der Grund dafür, dass manche Menschen keinen Fick auf Fische geben. Also persönlich.“
Spitzer war „unter Aufsicht des Goethe-Instituts“ (Webseite) für Lesungen und Workshops in China. Auf dem Buchrücken jubeln Friedemann Weise („das einzige Buch über China, das man gelesen haben muss“) und Moses Wolff („ein Meisterwerk an Komik und Weisheit“) – über ein Buch, das humoristisch der Machart der übergefälligen Richtung von Slam-Texten folgt. Diese funktionieren, wie man sagt, indem sie die Assoziationen des Publikums (hier v.a. aus dem Unterhaltungssektor) bedienen und zu schlichten Witzen verarbeiten.
Wenn Spitzer nicht einen flachen Witz ausdehnt (z.B. den schon mindestens vierzehn Jahre alten Kalauer „hier ruht Ruht“) oder „im wahrsten Sinne des Wortes“ falsch gebraucht, kokettiert er schon mal mit der Spaßhaltung, die er auf seiner Reise einnimmt. Dies jedoch funktioniert nicht, wo der Humor im Hohlraum gedeihen soll, wo sparsam Gedachtes noch mit „dachte ich“ unterstrichen wird.
Das nachgelieferte, gute „kleine Einmaleins der großen Zusammenhänge“ wirkt am Ende deplatziert. Die Kuriositäten, von denen das Buch fraglos viele enthält, erfreuen wenig, so grob werden sie meist verarbeitet. Auch bleibt der Erzähler stets der dauerspaßige Comedian, was menschlichen Konturen keinen Platz lässt. Dass wir in Deutschland ein kohldummes Chinabild haben, bestätigt sich in diesem Buch zwar nicht durch den Inhalt, wohl aber durch die Form.
Thomas Spitzer: Goethe, Schiller, Chinakohl. Bastei-Lübbe 2016. 253 Seiten. 9,99 Euro.