Kurzrezensionen – diesmal zu Stephanie Gleißner („Einen solchen Himmel im Kopf“), Vicki Baum („Pariser Platz 13“) und Thomas Ruffs Fotobuch „Works 1979-2011“, geschrieben von Kira Kötter (KK), Christina Mohr (MO) und Christian Geldmacher (CG).
Trautes Heim, Glück allein?
(KK) – Mit ihrem Debütroman „Einen solchen Himmel im Kopf“ beantwortet Stephanie Gleißner diese Frage auf ihre Art: Hinter einem durchsichtigen poetischen Schleier verdeckt – direkt und wütend. Von Kira Kötter.
Was passiert, wenn man sich nicht einfügen kann, nicht passt in die „Ordnung“ und „Netze“ der Alten, die auf den Bänken vor der Kirche im bayrischen Hinterland lauern?
„Nach dem Abi gehen wir hier weg, Johanna, wir studieren, egal, was, aber wir müssen hier weg!
Die Handlung offenbart zwei Fronten: Auf der einen Seite sind da die extrem eigensinnige Johanna, die sich in ihrer Freizeit mit dem Leben von Heiligen beschäftigt sowie die von einer Schuppenflechte gebranntmarkte Annemut, die ehrfürchtig zu Johanna aufblickt. Die beiden sind ein eingeschworenes Team, zusammen fühlen sie sich unschlagbar, anders als der Rest der Welt, geschützt durch ihre Freundschaft. Gemeinsam wollen sie ausbrechen, zu etwas Besserem werden.
Die Freundinnen befinden sich im stillen Kampf gegen den perfekt durchstrukturierten Mikrokosmos ihres Heimatdorfes, die Front der tratschenden Hinterlandbewohner, die Stephanie Gleißner wunderbar verallgemeinernd die Alten, die Mittelalten und die jüngeren Alten nennt. Sie kommentieren unablässig jedes noch so unwichtige Ereignis in ihrem Dorf und schlachten es so lange aus, bis das nächste Gesprächsthema, vielleicht das Unkraut im Garten von Johannas Mutter oder die Gelegenheitsjobs ihres Vaters, auf sie wartet.
Ihre Hauptfiguren könnte die Autorin nicht außergewöhnlicher erschaffen. Sie entspringen keinem Raster, die Schulmädchen sind keine Außenseiter, die, wie in amerikanischen Teenie-Filmen von ihren Mitschülern gemobbt werden, weil sie Pickel haben oder zu schüchtern sind. Nein, besonders Johanna ist sich ihrer Außergewöhnlichkeit bewusst und genießt das Anders-Sein. Die Randfiguren, die doch die entscheidende Rolle tragen, bleiben allgemein, austauschbar, ihr Verhalten wird ironisch und böse beschrieben.
Stephanie Gleißner schafft den Spagat zwischen poetischen Formulierungen und Alltagssprache. In kurzen, aber kunstvollen Sätzen, in wirkungsvollen Bildern, bringt sie ihre geballte Wut zum Ausdruck. Sie richtet ihre Zeilen gegen das gutbürgerliche Leben – gegen Dorfklatsch und gegen die neugierigen Nachbarn.
Welche Front wird den Kampf gewinnen?
Stephanie Gleißner: Einen solchen Himmel im Kopf. Aufbau Verlag 2012. 224 Seiten. 16,99 Euro.
Sarkastisches Minidrama
(MO) – Von ein paar Formulierungen und altmodischen Ausdrücken abgesehen, könnte Vicki Baums Komödie „Pariser Platz 13“ aus dem Jahre 1930 auch heutzutage entstanden sein: dass es „wichtigere Dinge als richtigen Puder“ nicht gibt oder dass sich das wahre Alter einer Frau an der Elastizität der Haut auf ihrem Handrücken erkennen lässt – solche Weisheiten verkünden Frauenzeitschriften auch anno 2012 noch unablässig.
Dass vor allem Frauen für die Erlangung und Konservierung ihrer Schönheit – wie auch immer diese definiert sein mag – so ziemlich alles tun, galt vor hundert Jahren ebenso wie heute, setzt enorme Wirtschaftskräfte frei und ist nicht zuletzt eine zuverlässige, unerschöpfliche Quelle für Spott von allen Seiten. Die 1888 in Wien geborene jüdische Musikerin und Schriftstellerin Hedwig „Vicki“ Baum war dem Kult um Schönheit und ewige Jugend selbst nicht abgeneigt, davon zeugen ihre Zeitschriftenartikel aus den 1920er- und ’30er-Jahren, die Herausgeberin Julia Bertschik der Neuauflage von „Pariser Platz 13“ als Ergänzungen hinzufügt. Vicki Baum unterzieht sich mutig Hormon- und Diathermiebehandlungen (1926 der letzte Schrei), nur vor den schon damals probaten Schönheitsoperationen schreckt sie zurück und sagt zum Chirurgen, „wenn Sie gestatten, komme ich in zehn Jahren wieder…“
Baums berühmtestes Werk ist der Roman „Menschen im Hotel“, der 1932 in Hollywood mit Stars wie Greta Garbo und Joan Crawford verfilmt wurde; das Talent der Autorin für spitzfindig-ironische Alltagsbeobachtungen findet sich aber in allen ihren Texten. „Pariser Platz 13“ ist ein rasantes, sarkastisches Minidrama um die kleinen und großen Lügen, die Frauen (und Männer – Feministin Baum weiß das) im Namen der Schönheit und Jugend immer wieder auftischen. Und der Grund dafür ist damals wie heute derselbe: alle wollen lieb gehabt werden und hoffen, dass straffe Haut, ein großer Busen und güldenes Haar den Weg zur Glückseligkeit bereiten werden.
Vicki Baum: Pariser Platz 13. Eine Komödie aus dem Schönheitssalon und andere Texte über Kosmetik, Alter und Mode. Mit einem Nachwort herausgegeben von Julia Bertschik. Aviva Verlag 2012. 220 Seiten. 16,50 Euro.
Gestalterischer Eigensinn
(CG) – Was mich an Thomas Ruff zuerst interessierte, waren seine Fotografien banaler, kleiner, mieser Architektur: Die obszöne Billigarchitektur, die keine 30 Jahre hält – Gewerbegebietsarchitektur, Abbrucharchitektur, Schrottarchitektur. Wohnhäuser, öffentliche Gebäude, Schulen, Fabrikgebäude: Ruff fotografierte diese Gebäude ohne sie, wie in der Architekturfotografie üblich, gut aussehen zu lassen. Er zeigte ihre Brutalität. Wir hätten sie gern alle wieder weg. Keiner von uns stand jemals davor und sagte: „Ach, schön hier! Setzen wir uns doch!“ Wir alle wissen, dass sie nichts taugt. Ganze Wohn- und Gewerbegebiete gehören in die Luft gesprengt. Das ist uns allen bewusst.
„Thomas Ruff – Works 1979-2011“, das Begleitbuch des Schirmer/Mosel Verlags zur Ausstellung im Haus der Kunst in München, zeigt exemplarische Arbeiten Ruffs der letzten 30 Jahre. Seine Motive, so ungewöhnlich und unzugänglich sie zunächst erscheinen mögen, gehen uns alle etwas an. Ob es sich um Interieurs aus den 50er- und 60er-Jahren handelt, um Porträts, um seine grünen, der Technik dem Militär entlehnten Restlichtaufnahmen in Düsseldorf, die „Aktfotos“ (gesampelte Pornofotos aus dem Internet), die Gebäude des Bauhausarchitekten Mies van der Rohe, die ikonografisch bildhaften Saturnfotos, die Maschinen oder die komplexen Formeln der Algebra in Kurvengebilden: Thomas Ruff ist ein Verrückter, ein Radikaler im positiven Sinne.
Wenn man diesen Band durchblättert, kommt man sich geradezu manipulierbar vor: Man nickt in diese sehr heterogenen Serien hinein und denkt sich: Großartig ausgedacht! Und großartig gemacht! Ja, so ist es wohl: Wir folgen Thomas Ruff, wohin er auch geht. Ob abstrakt, ob konkret, ob analog, ob digital: So einer wie er wird immer interessante Wege beschreiten. Sie werden alle etwas völlig Neues zeigen.
Thomas Ruff : Works 1979-2011. Begleitbuch zur Ausstellung im Haus der Kunst, München. Deutsch/englische Ausgabe. Mit Texten von Okwui Enwezor, Thomas Weski und Valeria Liebermann. München: Schirmer/Mosel. 272 Seiten. 202 Tafeln. 8 Abbildungen. 58,00 Euro.
Abbildung 1: Ruff: Haus Nr. 6 I, 1989. Aus der Serie: Häuser.
Abbildung 2: Ruff: Haus 5 I, 1992. Aus der Serie: Nächte.