Schweben in brüchiger Welt
– „Insgesamt so, diese Welt“ klingt nicht gerade nach einer Festlegung. Eher nach einem „Irgendwie“ einer lauwarmen Unterhaltung in einem Berliner Bistro. Der erste Eindruck täuscht jedoch. Lydia Daher ist eines ganz gewiss nicht: Eine Vertreterin von hübscher Beliebigkeit. Das erfährt man bereits beim Lesen des Titelgedichts ihres neuen Lyrikbands. Von Jörn Borges
Der Titel ist eher Ausdruck einer Welt, die nur scheinbar zusammenhält. „Bröckelnde Wände“, im Moment noch romantisches Beiwerk zu Blüten, Gras und frischen Trieben, kündigen bereits die Angst vor dem Beziehungszusammenbruch an. Schön, wie Daher ironisch im Naturbild bleibt und drastisch ihre Beziehungsangst formuliert: „Noch ahnst Du nichts von / meiner Angst, die da ist / und noch aufzuklären wäre / wie ein Parkmord.“
Momente der Ganzheit sind in ihren Gedichten ständig der Gefahr der Vergänglichkeit ausgesetzt. Dabei verzichtet Lydia Daher auf Reimgeklapper und schafft stattdessen immer wieder Augenblicke des Schwebens inmitten der scheinbaren Festlegungen dieser Welt. In „Letzte Zigarette“ verwebt sie geschickt äußere und innere Bilder durch die Metaphorik des Titels: „Zaghaft wird sich der Tag / entzünden. Am Schweigen, / das an Zungen zieht.“ So deutet sie schon zu Beginn die Flüchtigkeit der Beziehung an, der sie mit zarten Assonanzen und vereinzelten Alliterationen Leichtigkeit verleiht: „Aber vorher lass uns / Beständigkeit spielen: / Ringe tauschen, aus Rauch / diese Nacht. So beiläufig / die letzte Runde.“
Die Innenwelt steht bei der Dichterin in einem ständigen Dialog mit den Bildern der Außenwelt. In „Was aus den Händen glitt“ wird dies fast programmatisch beschrieben: „Diese Traurigkeit versorgt sich heimlich / aus den großen Vorräten der Außenwelt. / Schau dir die Häuser an: fast alle haben Risse.“
Daher gelingen dabei eindringliche poetische Bilder der Verlassenheit, wenn sie in „Plattenbau, somewhere“ den kläglichen Versuch der Bauherren beschreibt, durch eine Kunstblume Leben zu erzeugen: „Die Blume / leuchtet fetischfarben, / das Rot am Horizont tut weh. / und leere Taschen, / auf links gezogen, flattern / als weiße Fahnen / im Aufwind.“
Vergeblich ist dabei die „Suche nach / Dingen, in denen die Ruhe / der Eindeutigkeit liegt“, verlogen der falsche Schein der Konsumwelt, den Daher in „Das Lächeln des Abteilungsleiters“ nachzeichnet: „Wohlgesetzt / ist das Falschlicht, das uns / die Wege auszeichnet / Wohlgesetzt das / Lächeln des Abteilungsleiters, / Wir können uns wenigstens / darauf verlassen: / wir finden uns wieder / in diesem Parfum.“
Suche nach rettenden Auswegen
Was bleibt da noch an rettenden Auswegen? Einer ist die Perspektivverschiebung. Der Blick in den morgendlichen Himmel nach dem Erwachen, der „nur 10 Prozent Dächer, aber 90 Prozent Himmel“ freigibt. Ein anderer ist die Verweigerung, in die Ordnung des Tages einzusteigen, auch wenn wie „In frühe Luft gewickelt“ „die Zeit der Eiligen naht, / das Licht sich gegen uns verbündelt hat,“ bevor die schreckliche Banalisierung des Lebens wieder Überhand gewinnt, bevor nur noch das Alltagsbild „Vom Anzug, den einer zum Lüften raushängte“ in unserer Erinnerung bleibt.
Was bei dieser Welt in ihrer Brüchigkeit zählt, ist der Moment der Unmittelbarkeit: „eine Schulter, die rausschaut, / scheu, braun, samthäutig, / und sich in dein Auge schmiegt / bedeutet die Welt, mein Herr.“ Der Moment, der nicht über sich hinaus will, und der eigene Blick, den Lydia Daher in der poetischen Beschreibung eines Abendspaziergangs in dem Gedicht „Aufatmen“ gegen das normierte Glotzen und die vermeintliche Abgeschlossenheit der Welt setzt: „Der Trugschluss / eines geschlossenen Tors, / vor dem das Licht bloß / Schatten findet / Und hinter den Fenstern: Flimmern. Blaue Leitsterne, / braune Kommoden. Wir kehren zurück / vor Nachrichteneinbruch.“
Deutlich wird an solchen Texten auch, wie Daher die Bedeutung des Dichtens einschätzt. Für sie scheint es ein Prozess zu sein, „dem Mantel der Welt / ein Stück Stoff / zu entreißen“, oder zu lernen, indem gewohnte Denkstruktur aus ihren Rastern geworfen wird. Und dann entstehen Verse, die wie Parolen für ein glücklicheres Leben klingen: „Die Sache mit unserem Alleinsein / müssen wir lernen. So wie man Sonne lernt oder den Regen, an dessen Tropfen Licht sich beugt wie / eine Hoffnung.“
Die-Schwäne-von-Kreuzberg Die Schwäne von Kreuzberg
Für alle, die sich vom Sound dieser Lyrik bei geschlossenen (oder geöffneten) Augen tragen lassen wollen, sind 17 ihrer fünfzig neuen Gedichte auf einer beigefügten CD zu hören, gesprochen von Lydia Daher. Die Jazzklänge von Poembeat, hinter dem sich Andreas Möckl verbirgt, erschließen zusammen mit der klar akzentuierenden Stimme der Lyrikerin einen ganz neuen Vorstellungsraum, der viele Sinne schärft.
Jörn Borges
Lydia Daher: Insgesamt so, diese Welt. Mit Audio-CD. Dresden: Voland & Quist 2012. 80 Seiten. 14,90 Euro. Zur Homepage von Lydia Daher.